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Inspector Banks kehrt heim

Titel: Inspector Banks kehrt heim
Autoren: Peter Robinson
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und weil es ungerecht war. Ihm ging es sowieso schlecht genug, weil er seinen einzigen Sohn umgebracht hatte. Deshalb sagte ich, wir müssten die Drogen wegschmeißen und die Nadel und alles und Joseph die Schuhe ausziehen und sagen, er wäre auf der Treppe ausgerutscht. Wir wussten, dass die Polizei uns glauben würde, weil wir anständige Leute sind und keinen Grund hatten zu lügen. Das war am schwersten. Die Knoten in den Schnürsenkeln zogen sich fest und meine Fingernägel brachen ab, und am Ende habe ich so gezittert, dass ich eine Schere holen musste. Und das ist die ganze Wahrheit, Mr Banks. Ich weiß, dass wir einen Fehler gemacht haben, Bert war danach nicht mehr derselbe. Es gab keinen Tag, an dem er nicht weinte, weil er das getan hatte, und ich habe ihn nie wieder lachen sehen. Bis zum heutigen Tage wissen wir nicht, was aus unserem Enkelsohn geworden ist, aber wir hoffen, dass er gesund und glücklich ist und nicht so dumm wie sein Vater. Wenn Sie diesen Brief lesen, habe auch ich meine endgültige Ruhe gefunden. Ich habe schon seit zwei Jahren Krebs, und so oft sie ihn auch wegschneiden, er kommt immer wieder. Ich habe mir Tabletten aufgespart. Da ich jetzt mein Gewissen erleichtert habe, kann ich nur hoffen, dass der Herr mir meine Sünden vergibt und mich in seinen Schoß aufnimmt.
    Mit freundlichen Grüßen
    Betty Atherton
     
    Banks legte den Brief beiseite und rieb sich mit dem Handrücken das linke Auge. Draußen regnete es noch immer, ein sanftes Hintergrundrauschen zu Finzis Klarinettenkonzert auf dem Walkman. Banks starrte auf das blaue Briefpapier mit Betty Athertons krakeliger Schrift, dann fluchte er vor sich hin, schlug mit der Faust auf den Tisch, ging zur Tür und rief nach Susan Gay.
     
     
    * 8
     
    »Sie heißt Catherine Anne Singer«, sagte Susan am nächsten Nachmittag. »Und sie war froh, mit mir reden zu können. Aber erst musste ich ihr versichern, dass wir ihr nichts anhängen würden, weil sie den Tatort verlassen hatte. Sie stammt aus einem Ort namens Garden Grove in Kalifornien und kam wie viele junge Amerikaner in den sechziger Jahren rüber, um durch Europa zu touren.«
      Die drei - Banks, Susan und Jenny Füller - saßen mit ihren Getränken an einem gehämmerten Kupfertisch im Queen's Arms und lauschten dem Sommerregen, der gegen die bunten Rauten der Fensterscheibe prasselte.
      »Das ist die Mutter von Jerry Singer?«, fragte Banks.
      Susan nickte. »Ja. Ich habe ihn gerade nach ihrer Telefonnummer gefragt, ohne ihm den Grund zu nennen.«
      Banks nickte. »Gut. Und?«
      »Sie landete irgendwann in London. Damals war es einfach, eine Stelle schwarz zu bekommen, einen Job, wo keiner große Fragen stellte. Irgendwann geriet sie an Joseph Atherton. Sie wohnten zusammen in einem möblierten Zimmer in Notting Hill. Joseph hielt sich damals für einen begnadeten Musiker -«
      »Wer nicht?«, fragte Banks. Er selbst hatte ein paar fruchtlose Gitarrenstunden genommen. »Sorry. Erzähl weiter!«
      »Viel mehr gibt's nicht zu erzählen. Sie wurde schwanger und behielt das Kind, obwohl Joseph sie offenbar zur Abtreibung überreden wollte. Sie nannte das Kind Jerry nach einem Gitarristen, den Joseph ganz toll fand, Jerry Garcia. Der Kleine kann von Glück sagen, dass Annie kein Heroin nahm. Bei Haschisch und LSD war bei ihr Schluss. Auf jeden Fall waren sie auf dem Weg zu einer buddhistischen Kommune irgendwo in Schottland, als Joseph meinte, sie könnten bei seinen Eltern vorbeischauen und versuchen, denen etwas Geld aus den Rippen zu leiern. Annie hielt nicht viel davon, machte aber mit.
      Es lief genau so ab, wie Mrs Atherton es geschildert hat. Annie bekam es mit der Angst zu tun und flüchtete. Wieder in London, beschloss sie, es sei an der Zeit, in die Staaten zurückzukehren. Sie verkaufte das Auto und hob ihre Ersparnisse von der Bank ab, nahm den erstbesten Flug und zog zurück nach Kalifornien. Sie ging zur Uni und fand in San Diego eine Stelle als Meeresbiologin. Sie heiratete nicht und erzählte Jerry nichts von ihrer Zeit in England und dem Abend bei den Athertons. Sie sagte ihm, sein Vater hätte sie kurz nach der Geburt verlassen. Bei Josephs Tod war Jerry erst zweieinhalb Jahre alt. Er glaubt, sein ganzes Leben in Südkalifornien verbracht zu haben.«
      Banks leerte sein Glas und schaute Jenny an.
      »Kryptomnesie«, sagte sie.
      »Wie bitte?«
      »Kryptomnesie. Das sind Erinnerungen, derer man sich nicht bewusst ist, Erinnerungen
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