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Inspector Banks kehrt heim

Titel: Inspector Banks kehrt heim
Autoren: Peter Robinson
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hatte vorher angerufen, um sie nicht zu erschrecken. Eine Frau, die allein an so einem verlassenen Ort lebte, konnte schließlich nicht vorsichtig genug sein.
      Sie führte Banks und Susan in die große Küche und stellte den Wasserkessel auf den Herd. Die Steinwände wirkten durchaus sauber und gepflegt, aber Banks nahm den Geruch von vergammelndem Gemüse oder Fleisch wahr.
      Bei Mrs Athertons Anblick musste man unwillkürlich an Krankheit denken. Sie hatte eine gräuliche Gesichtsfarbe und schütteres graues Haar, ihre Augen waren gelblich trüb, die Pupillen milchig blau, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Beim Teekochen bewegte sie sich langsam, als überlege sie genau, wie viel Energie sie für jeden Schritt aufbringen müsse. Wie sie hier bloß ganz allein zurechtkam, fragte sich Banks. Die Sturheit der Menschen in Yorkshire war legendär, manchmal grenzte sie aber auch an Selbstüberschätzung.
      Mrs Atherton stellte die Teekanne auf den Tisch. »Wir wollen ihn ein bisschen ziehen lassen«, sagte sie. »So, über was möchten Sie mit mir reden?«
      Banks wusste nicht, wie er anfangen sollte. Er hatte nicht die Absicht, Mrs Atherton von Jerry Singers früherem Leben zu erzählen oder sie zum Tod ihres Sohnes zu befragen. Das ließ ihm nicht viele Möglichkeiten.
      »Wie kommen Sie so zurecht?«, fragte er.
      »Muss ja irgendwie.«
      »Aber es muss schwer sein, so ganz allein den Hof zu bewirtschaften.«
      »Ach, is' ja nich' mehr viel zu tun. Jack Crocker passt auf die Schafe auf. Muss nur 'n paar Kühe melken.«
      »Haben Sie kein Geflügel?«
      »Nee, lohnt nicht mehr, bei den ganzen Legebatterien. Aber Sie sind doch von der Polizei, Sie sind doch bestimmt nich' hier, weil Sie mit mir über das Leben aufm Bauernhof reden wollen. Na los, sagen Sie schon!«
      Banks merkte, dass Susan den Kopf senkte und lächelte. »Tja, also«, begann er. »Es ist mir wirklich unangenehm, das schmerzliche Thema anzuschneiden, aber wir würden gerne mit Ihnen über den Tod Ihres Sohnes sprechen.«
      Mrs Atherton sah Susan an, als nähme sie sie erst jetzt wahr. Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. Dann wandte sie sich an Banks. »Über Joseph?«, fragte sie. »Aber der ist doch schon fast dreißig Jahre tot.«
      »Ich weiß«, sagte Banks. »Wir wollen Sie auch nicht lange belästigen.«
      »Da gibt's nichts zu erzählen.« Sie goss den Tee ein, gab Milch und Zucker dazu und setzte sich wieder.
      »Sie haben damals gesagt, Ihr Sohn hätte Ihnen vorher geschrieben?«
      »Ja.«
      »Haben Sie den Brief aufbewahrt?«
      »Was?«
      »Den Brief. Über den war nirgends etwas zu finden. In der Akte ist er auch nicht.«
      »Na, kann er wohl auch nicht. Wir lassen hier schließlich kein Papier rumliegen.«
      »Das heißt, Sie haben ihn weggeworfen?«
      »Ja, Bert oder ich.« Mrs Atherton schaute Susan an. »Das war mein Mann, Gott hab ihn selig. Woher hätten wir denn sonst gewusst, dass er kommen würde? Damals konnten wir uns noch kein Telefon leisten.«
      »Ich weiß«, sagte Banks. Leider hatte niemand am Bahnhof nachgefragt, ob Bert Atherton seinen Sohn tatsächlich abgeholt hatte. Jetzt war es zu spät. Er trank einen Schluck Tee. Er schmeckte, als sei der Teebeutel zum zweiten Mal verwendet worden. »Sie können sich nicht zufällig daran erinnern, damals einen roten VW in der Gegend gesehen zu haben?«
      »Nein. Das wurden wir damals schon gefragt. Hab damals nichts gewusst und weiß jetzt auch nicht mehr.«
      »War sonst noch jemand im Haus, als der Unfall passierte?«
      »Nein, natürlich nicht. Meinen Sie nicht, dass ich das längst gesagt hätte? Hören Sie, junger Mann, worauf wollen Sie hinaus? Wollen Sie mir irgendwas sagen? Muss ich irgendwas wissen?«
      Banks seufzte und trank noch einen Schluck. Auch der Duft des schwachen Tees konnte den Fäulnisgeruch in der Küche nicht vertreiben. Banks gab Susan ein Zeichen und erhob sich. »Nein«, sagte er. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Mrs Atherton. Ich jage ein Phantom, das ist alles.«
      »Hm, tut mir leid, aber das müssen Sie wohl woanders jagen, mein Junge. Ich hab noch zu tun.«
     
     
    * 6
     
    Um vier Uhr am Nachmittag war es still im Queen's Arms. Weil es regnete, waren kaum Touristen unterwegs, und die meisten Einwohner von Eastvale arbeiteten noch in den Büros und Geschäften rund um den Marktplatz. Banks bestellte eine Schweinepastete an der Theke, dann nahm er die
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