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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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konnten nicht gefunden werden,
selbst unter dem Generalverdacht, der bei der Höhe der Erbschaft und der mächtigen
Position der Toten auf dem Immobilen- und Ferienhaussektor der Insel zwangsläufig
auf das gesamte Umfeld fallen musste.
    Die Sonderkommission beendete ihre Arbeit nach
gut neun Monate dauernden Ermittlungen mit der Vermutung auf Selbstmord. Gegen diese
These sprach allerdings, dass Frau Mendel keinen Abschiedsbrief hinterlassen und
auch ihrer Umgebung, soweit sie überhaupt in Kontakt mit ihr stand, nie ein solches
Vorhaben signalisiert hatte. Dafür sprach, dass die Tote, wie die von der Staatsanwaltschaft
angeordnete Obduktion ergab, unter einer Stoffwechselkrankheit und infolge davon
unter Fettleibigkeit, schweren Kreislaufproblemen und Herzrhythmusstörungen litt,
die ihre Lebensqualität stark herabsetzten. Selbst die Aufrechterhaltung einer eingeschränkten
Bewegungsfreiheit war nur unter Einsatz hoher Dosen verschiedenster Medikamente
gewährleistet (von Vitaminen und Mineralien bis hin zu Appetitzüglern und Herzstärkungsmitteln).
Der Bericht schloss mit der Feststellung, dass die Todesursache durch eigene oder
fremde Hand nicht zweifelsfrei zu ermitteln war und dass man den Fall zur weiteren
Bearbeitung an das Sonderdezernat übergeben habe.

Der Somali
     
    »Jussuf Barre«, schallte es über den Werkhof hinüber zu den Wohncontainern,
vor denen Jussi im Gespräch mit seinen Landsleuten stand. Der Beamte winkte ihm
mit erhobener Hand zu. Er schwenkte ein weißes Papier. Jussi wusste, was er von
ihm wollte, und freute sich.
    Er war vor rund einem Jahr als Asylbewerber
aus Somalia in der Bundesrepublik anerkannt worden. Anschließend war er, wie etliche
seiner Landsleute auch, einer deutschen Gemeinde zugeteilt worden. Er und einige
andere wurden nach Niebüll/Nordfriesland geschickt. Aus Mangel an geeigneten Sozialwohnungen
brachte man sie in dem etwas abgelegenen und eingezäunten Werkhof der Gemeinde in
Wohncontainern unter. Er teilte sich mit fünf seiner Landsleute einen davon. Sanitäre
Anlagen fanden sie im Bürogebäude des Werkhofs. Bargeld stand ihnen bis 40 Euro
im Monat zu. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie mit Lebensmittelgutscheinen und
der Gewährung von Sachleistungen. Im Prinzip war ihnen bezahlte Arbeit verboten.
Aber unter der Hand wurden sie von den Beamten als Hilfsarbeiter gegen geringes
Entgelt an Dienstleister vermittelt. Die schätzten sie als billige Handlanger für
die Arbeiten auf den vor der Küste liegenden Ferieninseln. Das nützte sowohl der
heimischen Wirtschaft als auch dem Lagerfrieden unter den Asylanten.
    Jussi hatte Glück gehabt. Er übernahm Aufgaben
für einen Gebäudeservice, der u. a. auf Sylt im Auftrag einer Ferienhausvermittlung
alle Arbeiten rund um die zugehörigen Wohnungen zu erledigen hatte. Sie arbeiteten
im Garten, halfen beim Putzen und Reinigen, reparierten Dächer und Elektroanlagen.
Jussi wurden auch Kurierdienste übertragen. Er besaß einen gültigen Führerschein
und sprach Deutsch. Ihm machte die Arbeit beim Gebäudeservice Spaß. Sie brachte
ihm Geld und war eine willkommene Abwechslung. Außerdem war das Ende absehbar. Seine
Tage in Deutschland waren gezählt. In zehn Tagen reiste er zurück, nicht nach Somalia,
aber nach Dschibuti.
     
    Sein Onkel Siad Barre hatte ihn seinerzeit zum Studium des Marxismus-Leninismus
in die ehemalige DDR geschickt. Aus diesem Studium hatte er neben
der deutschen Sprache und einem gültigen Führerschein nur die bleibende Erkenntnis
mitgenommen, dass die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse das Öl in der Lampe
der Geschichte sei. Alles andere war ihm langweilig und seinem Wesen fremd geblieben.
Er hatte es bald vergessen.
    Er studierte noch in der ehemaligen DDR , als das Ende der Regierung seines Onkels Siad Barre in Somalia
eingeläutet wurde. Den Scheichs der arabischen Sultanate und Emirate war sein Onkel
ein Dorn im Auge. Anfangs hatten sie trickreich, leise und diskret, wie es ihre
Art ist, daran gearbeitet, ihn in ihr Machtkartell um das Arabische Meer einzubinden.
Aber sein Onkel wollte sich ihrem Machtanspruch nicht fügen. Er hielt an seiner
Idee von einem eigenständigen, sozialistisch ausgerichteten somalischen Einheitsstaat
fest. Darauf beschlossen die Scheichs seine persönliche und politische Liquidierung.
    Sie begannen, ihre Macht und ihren weltweiten
Einfluss zu nutzen, um ihn zuerst einmal in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen.
Das zwang ihn dazu, selbst
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