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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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dieser
Reihenfolge – und investierten auch in sie.
    Er war in die Korrespondenz mit Ärzten in der
Schweiz und Deutschland eingebunden, die Scheich Hamid konsultiert und deren Händen
er sich bei mehreren schweren Operationen anvertraut hatte. Seine Dankbarkeit für
die gefundene Hilfe zeigte er in großzügigen Gesten, unter anderem auch in in deutscher
Sprache abgefassten Dankschreiben. Der Scheich war schwer krank. Umso mehr bewunderte
Jussi die Haltung und die Disziplin, mit der er seiner Arbeit nachging.
    Er lernte, die subtile Machtentfaltung und
kluge Einflussnahme der Scheichs zu bewundern. Gleichzeitig erfasste ihn ein Grauen
vor der Unerbittlichkeit in der Durchsetzung einmal gefällter Entscheidungen. Für
die Kindereien der Demokratien Europas hatten die Scheichs nur verächtliches Schweigen
übrig. Der wirtschaftlichen und medizinischen Entwicklung brachten sie aber großes
Interesse entgegen. Einige Aufmerksamkeit erregte ein ehemaliger Führer Deutschlands
namens Hitler, einmal wegen seiner Machtentfaltung, zum andern aber wegen der konsequenten
Endlösung eines Problems, dessen auch sie sich gerne entledigt hätten. Sie ließen
sich dokumentarische Filmaufnahmen vorführen. Was sie zu sehen bekamen, war ihnen
suspekt. Warum musste er vor den Massen so kreischen? Warum hatte er nicht viele
Söhne? Warum gab er sich mit Hunden ab, anstatt edle Pferde zu züchten? Und warum
duldete er in seiner Umgebung diese schlecht gekleideten, dümmlich und eitel dreinblickenden
Männer mit abstehenden Ohren? Schnell legten sie ihn ab zu denen, über die sie keinen
weiteren Gedanken verschwendeten.
    Jussi war geschickt und fleißig. Er erwarb
sich ihr Vertrauen, soweit das überhaupt möglich war. Und er lernte viel, mehr als
jemals zuvor in seinem Leben. Die stetige Lektüre deutscher Wochenzeitungen und
Nachrichtenmagazine erweiterte seinen Horizont und seine Sprachkenntnisse. Anfangs
verstand er des Öfteren nicht, von was in den Artikeln die Rede war. Es dauerte
lange, bis er die Gedanken eines gewissen Joffe in der Wochenzeitung Die Zeit nachvollziehen
konnte. Und es faszinierte ihn, dass man offensichtlich in Deutschland von diesen
genüsslich ausgesponnenen Plattheiten leben konnte.
    Schließlich schickten sie Jussi zurück nach
Deutschland. Sein Auftrag war, unter den Asylanten aus Ostafrika ehemalige Führungskader
der in die Kämpfe um die Vorherrschaft am Horn von Afrika verwickelten Clans auszuhorchen
und deren Absichten zu erkunden.
    Seine Hoheit verabschiedete ihn in dem gleichen
Raum, in dem sie ihn begrüßt hatte. Sein Sekretär schwor ihn auf die Wichtigkeit
seiner Aufgabe ein. Seine Biografie machte Jussi unverdächtig. Jede Auffälligkeit,
in welche Richtung auch immer (zum Beispiel unerklärliche Geldmittel), hatte er
zu vermeiden. Das Andernfalls musste nicht erwähnt werden. Jussi wusste auch so,
was ihn erwartete. Im besten Fall würden sie ihn nie gekannt haben, wahrscheinlicher
war seine Auslöschung. Und wieder bewunderte er ihre Umsicht und die Möglichkeiten
subtiler Einflussnahme bei seiner Einschleusung in das Asylaufnahmeverfahren in
Deutschland. Wie hatten sie es nur fertiggebracht, ihn mit denen zusammenzubringen,
die sie ihm als Zielpersonen genannt hatten? Jussi machte seine Sache gut.
     
    Er überquerte den Werkhof im Laufschritt. Das mochten die Beamten.
Es signalisierte seine Bereitschaft, die Wohltaten der Kommune dankbar entgegenzunehmen
und die aufopfernde Arbeit der Beamten zu würdigen. Wenn sie den wahren Grund seines
Asylaufenthaltes und dessen Zustandekommen gekannt hätten, wäre es sicherlich mit
ihrer Hilfsbereitschaft schnell vorbei gewesen.
    »Hallo, Jussi, mein Deutsch sprechender Lieblingsasylant.
Ich hab was für dich«, begrüßte ihn der Beamte.
    »Hallo, Herr Hauptsekretär.«
    »Regierungsobersekretär, bitte. Was nicht ist,
wird bald werden, wenn ihr weiter so brav seid. Heute hab ich wieder einen Job auf
der Insel für dich. Du weißt schon wo. Ich hab gehört, du bist bei der reichen Alten
gut angekommen.«
    »Ja, sie mag mich. Ich bin gerne bei ihr.«
    »Sie will dich in ihrem Garten haben, hoffentlich
nicht auch woanders. Aber bei ihrer Figur besteht da ja wohl keine Gefahr, oder?«
    »In meinem Land gibt es auch dicke Frauen,
wenn auch weniger als hier. Sie sind angesehen und beliebt und nicht abstoßend.«
    »So, so, na ja, andere Länder haben andere
Sitten.«
    Der Tonfall verriet Jussi, dass der persönliche
Teil des Gespräches damit beendet war.
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