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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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arbeitete methodisch und kühl. Es bereitete ihm Mühe, das Bündel über seine
Schulter zu wuchten, aber er spürte auch, wie ihm ungewohnte Energien zuflossen.
Er registrierte auf seinem Weg in den Keller alles, auch jede Kleinigkeit, so, als
sähe er sich selbst von oben zu. Wieder begegnete ihm niemand, der Sack wurde schwerer,
und die Tür zur Tiefgarage hatte eine violettrote Drückergarnitur. Bis er seine
Last im Auto abgelegt und die Heckklappe verriegelt hatte, wurde er von Minute zu
Minute sicherer. Er bewegte sich wie eine Maschine: emotionslos und effektiv.
    Erst auf der Fahrt kamen seine Gefühle zurück.
Er fluchte. Diese blöden Europäer. Allah soll sie strafen. Ersticken an ihren Süßigkeiten
und reißen uns mit rein. Ihre Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit, ihre Blödheit
und ihr Egoismus, ihre Geschmacklosigkeiten und ihre Maßlosigkeit sollen verflucht
sein. Der Schaitan [15] soll sie alle miteinander holen und in der Hölle braten.
    Er zwang sich zur Ruhe. Als er in den Fahrweg
zur Gartenpforte einbog, arbeiteten sein Körper und sein Gehirn wieder unberührt
von den Eruptionen seines Geistes und den Glutströmen seines Herzens. Er würde die
Tote in dem blauen Sack im Schuppen lagern. Da würde das Behältnis nicht auffallen.
Morgen würde er für das endgültige Verschwinden sorgen. Ihm war klar, dass dann
auch die Freundin verschwinden musste. Bei diesem Gedanken spürte er ein Ziehen
im Magen. Er unterdrückte den Schmerz und konzentrierte sich auf die vor ihm liegende
Aufgabe. Er hatte heute Morgen im Schrank neben der Schuppentür unter den Unkrautvernichtern
eine braune, mit einem Totenkopf und dem Hinweis ›Sehr giftig‹ versehene Flasche
entdeckt. Damit musste es gehen.
    Es war inzwischen dunkel geworden. Er hatte
keine Mühe, unerkannt und unauffällig zu erledigen, was er sich vorgenommen hatte.
     
    Jussi fand Eva apathisch auf dem Sofa liegend vor. Er setzte sich zu
ihr, nahm ihre Hand in die seine und drehte ihren Kopf mit der anderen so, dass
sie ihm in die Augen schauen musste.
    »Eva, ich bin wieder da. Es ist alles in Ordnung.
Baiba ist schon dabei, die Sache zu erledigen. Bist du in Ordnung?« Sein Ton war
sanft und verständnisvoll. Sie antwortete nicht und sah ihn unverwandt, aber abwesend
an.
    »Woher hast du die Narben im Gesicht, Jussi?«,
fragte sie so leise, dass er sie kaum hörte.
    »Das spielt doch keine Rolle, Eva. Es ist alles
in Ordnung. Du siehst mitgenommen und zerzaust aus. Ich werde dir ein Bad einlaufen
lassen. Und dann entspannst du dich, ja?« Er fasste sie sanft bei den Schultern.
»Hinterher wirst du dich besser fühlen, glaub mir. Nimm den weißen Bademantel an
der Tür, wenn du dich abtrocknen willst.«
    »Ich tu, was du sagst, Jussi. Aber lass mich
nicht allein, bitte.«
    »Ich verspreche dir, ich bleibe bei dir, Eva.«
Ihre Hilflosigkeit begann ihm auf die Nerven zu gehen. Er berührte flüchtig ihre
Stirn mit seinen Lippen, stand auf und begab sich ins Bad, um die Wanne volllaufen
zu lassen.
     
    Auf dem Küchentresen stand die Flasche mit den Vitaminkapseln. Während
Eva in der Wanne lag, zog er eine Kapsel auseinander, schüttete das Granulat in
den Ausguss, füllte die Kapsel mit den Kristallen aus der Giftflasche und schob
die Kapselhälften wieder zusammen. Würde das ausreichen? Sicherheitshalber füllte
er eine zweite Kapsel und legte sie beide zusammen auf den Tisch. Die Flasche mit
den Vitaminkapseln stellte er dazu.
    Nach dem Bad saßen sie sich am Tisch gegenüber,
und Jussi hielt Evas Hände.
    »Du siehst schon viel besser aus, Eva. Hast
du Hunger?«
    Sie entzog ihm ihre Hände und hielt den Kragen
des Bademantels vor ihrer Brust zusammen.
    »Ich habe keinen Appetit.«
    »Es würde dir aber guttun«, erwiderte er beflissen.
»Wenn du schon keinen Appetit hast, Eva, dann nimm wenigstens die Vitamine hier,
die helfen deinen Lebensgeistern wieder auf die Sprünge, glaub mir. Ich hab es selbst
erlebt. Und nimm gleich zwei, das hilft besser. Ich hol dir ein Glas Wasser.«
    Er holte das Wasser und stellte das Glas vor
sie hin. Er strich ihr sanft über den Kopf.
    »Ich geh unter die Dusche. Wartest du solange
hier auf mich?«
    »Ich warte auf dich, Jussi.«
    Sie versuchte vergeblich, die Kapsel zu schlucken.
Ein Würgekrampf schüttelte sie, und sie brach den Versuch ab. Sie starrte auf die
Kapseln. Ihr war schwindelig, und sie wurde immer müder. Schließlich brachte sie
doch noch eine Pille hinunter. Die zweite legte sie zurück ins
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