Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verwuenscht und zugenaeht

Verwuenscht und zugenaeht

Titel: Verwuenscht und zugenaeht
Autoren: Mandy Hubbard
Vom Netzwerk:
D ie meisten sagen, für mich ist ein Glas immer nur halb leer. Wahrscheinlich haben sie sogar Recht. Ich habe noch nie verstanden, wie man es als halb voll betrachten kann, wenn doch eindeutig etwas vom Inhalt fehlt. Andererseits könnte ich diese Ansicht auch auf meinen letzten Ferienjob schieben. Ich habe fast den ganzen Sommer in einem Imbiss gearbeitet, und ein halb leeres Glas bedeutete, dass ich in Verzug geraten war.
    Vielleicht bin ich aber auch einfach nur ein pessimistischer Mensch, denn während ich im Biologieunterricht zwei Reihen schräg hinter meiner besten Freundin Nicole sitze, werde ich das Gefühl nicht los, dass sie irgendetwas vor mir verheimlicht. Ich beobachte sie schon die ganze Zeit und umklammere meinen angekauten Bleistift, dabei sollte ich eigentlich die Darstellung einer Zelle von der Tafel abzeichnen.
    Nicole mit ihrer »Das-Glas-ist-halb-voll-Einstellung« ist nicht besonders gut darin, ein Geheimnis zu hüten. Sie vermeidet meine Blicke, schreibt eifrig mit und tippt schneller mit der Spitze ihrer trendigen grauen Wildlederstiefelette auf den Boden, als ein Kolibri mit den Flügeln schlagen kann. Sie spielt mit ihren langen blonden Haaren und schiebt sie vors Gesicht, sodass ich ihre Augen nicht sehen kann.
    Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich sie darauf ansprechen soll, heute Abend ist nämlich meine Geburtstagsparty. Vielleicht plant sie etwas Spektakuläres und ich erlebe die größte Überraschung meines Lebens.
    Womit ich wieder bei dem halb leeren Glas wäre, denn eigentlich ist es eher unwahrscheinlich, dass sie etwas Spektakuläres vorhat. Nicole gehört zu den Menschen, in denen man lesen kann wie in einem offenen Buch. Und im Moment steht auf der aufgeschlagenen Seite eindeutig: nervös. Die restlichen Schüler sitzen dösend über die Hefter gebeugt an den Tischen und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Typ in dem dunkelblauen Kapuzenpullover ganz hinten sogar tatsächlich eingeschlafen ist.
    Nur Nicole nicht.
    Sie strahlt mehr Energie aus als eine Zweijährige, die sich gerade mit Süßigkeiten vollgestopft hat. Jetzt hebt sie den Kopf und schielt zu mir herüber. Ihre unglaublich blauen Augen weiten sich, als sie meinen stechenden Blick auffängt. Schnell schaut sie wieder in ihren Hefter, greift nach einem Kuli und kritzelt wie wild drauflos.
    Ich seufze und wende mich Mr Gordon zu, der jetzt die einzelnen Bestandteile der Zelle beschriftet. Die blassen roten Wörter sind krumm und schief und kaum lesbar. Sein rot-blau karierter Pullunder ist leicht verrutscht und ab und zu wischt er sich mit dem Handrücken den Schweiß von den buschigen grauen Augenbrauen.
    Ich habe irgendwann bei den Mitochondrien abgeschaltet und bin jetzt hoffnungslos verloren. Biologie am frühen Morgen sollte verboten werden. Mein Hirn kann um 7.50 Uhr noch nicht so viele Informationen verarbeiten.
    Ich unterdrücke ein Gähnen und starre in der Hoffnung aus dem Fenster, dass etwas Unerwartetes passiert. Vielleicht fällt ja die große, kahle Weide auf dem Schulhof plötzlich um. Oder eine der Neuntklässlerinnen, die gerade über den Hof hasten, rutscht auf dem taufeuchten Laub aus und ich muss ihr zu Hilfe eilen. Alles wäre besser, als hier noch länger rumzusitzen. Wir sind erst seit einem Monat in der zehnten Klasse und schon jetzt zieht sich jeder Tag wie Kaugummi. Mr Gordons monotone Stimme und der quietschende Whiteboard-Marker machen es nicht gerade erträglicher.
    Ich greife unter den Tisch und kratze an meinen Netzstrümpfen. Genau in der Kniekehle verläuft eine Naht, die mich ganz verrückt macht. Ich habe noch nie Netzstrümpfe getragen und dabei hätte ich es auch belassen sollen. Ich werde die Dinger nachher auf der Toilette ausziehen.
    Ich will natürlich nicht als Grufti oder Emo abgestempelt werden. Ich finde es nur besser, nicht das erste Schaf auf der Leiter zum gesellschaftlichen Erfolg zu sein, wenn ihr wisst, was ich meine. Als die Firma Old Navy im letzten Frühling verstärkt Werbung für Sommerkleider machte, war rasend schnell die ganze Palette aus Farben und Schnitten in der Schule vertreten. Gebt mir die neuesten Modetrends und die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Mädchen , schon kann ich die Outfits der weiblichen Schülerschaft für nächste Woche voraussagen.
    Wenn ich besonders mutig und gut drauf bin, blöke ich die Mädchen sogar an,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher