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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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Wahrheiten,
je nach Standort und Blickrichtung«, nahm Jung das Gespräch, immer noch nachdenklich,
wieder auf.
    »Oh, là là, unser kleiner Philosoph meldet
sich wieder. Hatte mir der nicht mal irgendwas versprochen? Schon wieder vergessen,
Herr Kriminalrat? Ging’s nicht darum, Frauen verstehen zu können?«
    Jung schreckte aus seinen Gedanken hoch. Und
schon im nächsten Augenblick überfiel ihn, ohne dass er sich dagegen wehren konnte,
erneut Ärger über ihre dümmliche Überheblichkeit. Er wurde wütend. Er konnte sich
beim besten Willen nicht erinnern, ihr ein derartiges Versprechen gegeben zu haben.
    »Sie sollten nicht darauf bestehen. Es wird
Ihnen nicht gefallen, was ich zu sagen habe«, erwiderte er scharf.
    »Ich höre wohl nicht richtig. Dass Sie ein
Gedächtnis wie ein Sieb haben, das wissen wir ja mittlerweile. Dass Sie auch noch
Schiss vor Frauen haben, ist neu. Passt aber irgendwie.«
    Ihr Gespräch entwickelte sich zusehends zu
einem Gefecht.
    »Ich warne Sie. Ich kann mich nicht erinnern,
Ihnen versprochen zu haben, Frauen zu verstehen.«
    »Sie erinnern sich nicht, ich sag’s ja.«
    Die Unterhaltung begann, Jung zu quälen. Es
war einfach zu blöde. Er wollte zum Schluss kommen.
    »Wenn Sie darauf bestehen, bitte. Meiner unmaßgeblichen
Meinung nach sollten Frauen sich selbst verstehen lernen und nicht von Männern erwarten
oder gar verlangen, dass sie ihnen das abnehmen. Gilt übrigens auch umgekehrt.«
    »Wäre aber zum Beispiel für guten Sex ganz
hübsch, wenn Männer Frauen verstünden, finden Sie nicht?«, erwiderte sie mokant.
    »Damit er sich vorher duscht und den Pimmel
schrubbt, um die Eingangskontrolle zu bestehen? Das passt doch gar nicht zu Ihnen,
gnädige Frau.« Jungs Ironie triefte ihr vor die Füße, und sie rutschte darauf aus.
    »So reden Sie doch nur, weil Sie keinen Witz,
keinen Humor und keinen Esprit haben. Sie sind einfach unfähig, dem Leben, so elend
es auch sein mag, Zauber und Glanz zu verleihen«, pumpte sie sich auf und warf sich
in die Positur einer vor Selbstgewissheit überlaufenden Emanze. Jung gelang es gerade
deswegen, relativ ruhig zu bleiben.
    »Wie recht Sie haben. Mein Mangel an Klasse
wurde mir schmerzlich bewusst, als Sie mich mit dem Zauber und Glanz Ihrer verflossenen
Ehe beeindruckt haben.«
    Sie schnappte nach Luft.
    »Das darf nicht wahr sein, dass ich mir das
von einem Polizisten anhören muss.«
    Er sah ihr in die Augen und erwiderte mit eisiger
Distanz und perfekt unterdrückter Wut: »Sie müssen nicht. Es steht Ihnen frei zu
gehen.«
    Ihr Gesicht lief an, als ereile sie gerade
der Schlag. Sie erhob sich brüsk, und ihr Stuhl fiel hinter ihr um.
    »Sie Wicht«, japste sie und verschwand durch
die Eingangstür nach draußen.
     
    Jung blieb zurück mit sich und der Rechnung. Er blieb so lange, bis
seine mächtigen Gefühle sich vor seiner wachsenden Traurigkeit verflüchtigt hatten.
Schließlich zahlte er. Dann machte er sich auf seinen Weg.
    Er besuchte die Apothekerin in der Strandstraße.
Er erzählte ihr die Geschichte vom Tod ihrer reichen Kundin aus Kampen. Er bezahlte,
was er ihr schuldig war, und bedankte sich für das, was sie für ihn getan hatte.
Ihre Gegenwart tat ihm gut. Er hätte ihr gerne einen Abschiedskuss gegeben, gab
aber seinem Wunsch nicht nach. Dann lenkte er seinen Schritt an den Strand und machte
sich zu einer langen Wanderung entlang der Wasserkante auf. Es ging nur ein leichter
Wind von der Seeseite her. Die Sonne schien ungehindert aus einem stahlblauen Äther.
Das Kreischen der Seevögel verlor sich zwischen dem Strandleben und dem geöffneten
Himmel. In Jungs Gedanken mischten sich Karin Mendel und Rosamunde Pilcher. Es gelang
ihm, seinen Gedanken zu entfliehen, und als er sich Stunden später vor seiner Apartmenttür
wiederfand, war es Zeit, ans Abendbrot zu denken.
    Jung trat aus der Dusche, unter der er sich
das Nordseesalz von der sommerwarmen Haut gespült hatte. Er frottierte sich flüchtig
ab. Dann betrat er, in seinen schwarzen Bademantel gehüllt, den Balkon und setzte
sich in einen bequemen Armstuhl. Sein Blick glitt über das ruhig daliegende Wattenmeer
bis an die Küste. Eine sanfte Melancholie breitete sich in ihm aus. Der von der
untergehenden Sonne beleuchtete grauweiße Apartmentklotz auf der anderen Seite zog
seinen Blick an. Er stand einfach nur da, nach seiner billigen, kunstlosen Architektur
zu schließen, schon seit den Jahren nach dem letzten Krieg.
    Am Vormittag, noch vor dem Anruf aus der
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