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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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noch dem beginnenden Ferientag
entgegen.
    Als er wenig später das Haus, das am Südrand
der Stadt lag, verließ, waren die flachen Frühnebelfelder auf der Nachbarkoppel
von der aufgehenden Sonne schon weggebrand. Jung bestieg gut gelaunt seinen Wagen.
    Jung mochte sein Auto, ein Kompromiss zwischen
seinem Willen zu sparen und dem Wunsch seiner Frau Svenja nach Ästhetik, Image und
– wie sie sich auszudrücken pflegte – einem gewissen Basiskomfort, wie ergonomischen
Sitzen mit Heizung, Klimaanlage, CD -Radio und anständigen
Reifen auf coolen Felgen. Er genoss die kurze Fahrt. Die magere Wirtschaft der Region
mit einer der höchsten Arbeitslosenquoten des Landes hatte zumindest den Vorteil
eines entspannten Berufsverkehrs. Sein Weg führte ihn zur Polizeiinspektion Nord
auf Norderhofenden.
    Er erfreute sich am Anblick der neu gestalteten
Hafenspitze gegenüber dem Polizeigebäude. Ihm gefielen die breiten, langen Promenaden,
die glatten, schweren Teakholzbänke unter einfachen, schnörkellosen Laternen, das
weitläufige Bohlwerk mit der Museumswerft, an deren Bootsstegen restaurierte Oldtimer
aus der Zeit der kommerziellen Segelschifffahrt lagen. Gegenüber, am Ostufer, sah
man den ochsenblutroten Holzbau des Restaurants Bellevue mit der über dem Wasser
schwebenden, überdachten Holzterrasse, und gleich links davon liefen die Stege der
neuen Marina in die Förde, an denen Sportboote vertäut lagen. Auch einige Luxusjachten
konnte er ausmachen. Die gesamte Innenstadtsanierung war mit viel Geld in den vergangenen
Jahren vollendet worden und – seiner Meinung nach – gut gelungen.
    Er stellte sein Auto auf dem Parkstreifen im
Innenhof der Polizei-Inspektion ab und grüßte den wachhabenden Polizeibeamten am
Aufgang zum Treppenhaus.
    »Morgen, Petersen.«
    »Moin, Herr Kriminalrat. Nach langer Zeit mal
wieder Arbeit auf dem Schreibtisch?«
    Jung quittierte den alten Beamtenscherz mit
gequältem Grinsen, machte aber gute Miene zum öden Spiel und grinste zurück.
    »Ja, Petersen, selten, aber heftig.«
    »Darüber können Sie sich ja nicht beklagen,
immer interessant und immer vergeblich, oder nicht?«
    »Nee, Petersen, aber interessant, das stimmt
schon.«
    Er betrat das Treppenhaus. Petersen hatte im
Grunde recht: Seine Arbeitsbeanspruchung und sein Arbeitserfolg hielten sich in
Grenzen.
     
    Vor fünf Jahren war er zum Leiter des neu eingerichteten Sonderdezernats
für unaufgeklärte Kapitalverbrechen ernannt worden, und in der Zeit danach hatte
er gerade mal ein gutes halbes Dutzend Fälle zu bearbeiten gehabt. Die letzten vier
Fälle handelten von spurlos verschwundenen Personen (zwei Männern, zwei Frauen,
alle aus sozial schwachen Verhältnissen), von denen die ermittelnden Beamten vermuteten,
dass sie Opfer von Kapitalverbrechen geworden seien. Im Laufe der Ermittlungen ließen
sich aber dafür keine Beweise finden. Die vermeintlichen Opfer waren einfach weg:
Keine Leichen, keine Spuren, nicht mal die Hinterbliebenen, soweit es sie überhaupt
gab, vermissten sie.
    Bei der langwierigen Aufarbeitung der Akten
hatte Jung herausgefunden, dass die männlichen Opfer (beide arbeitslos) sich mit
großer Wahrscheinlichkeit ins Ausland abgesetzt hatten.
    In unseren technisierten, sogenannten zivilisierten
Gesellschaften der Ersten Welt war die Änderung einer Identität für Normalsterbliche,
also Menschen ohne Einfluss, Macht und Geld, nur möglich, indem sie sich den chaotischsten
Flecken der Dritten Welt anvertrauten und sich stark genug fühlten, dort zu überleben.
Dafür schien in erster Linie Afrika geeignet zu sein. Seine zeitraubenden Bemühungen,
Spuren zu finden, waren an den Kriegswirren, an der Indolenz und am Desinteresse
der infrage kommenden Ansprechpartner gescheitert. Und einer persönlichen Recherche
vor Ort wollten seine Vorgesetzten nicht zustimmen; vordergründig aus Sorge um seine
Sicherheit, in Wahrheit aber aus Kostengründen. Er war aber völlig einverstanden
mit der Entscheidung gewesen, denn die Vorstellung, in Afrika einen weißen Mann
suchen zu müssen, der sich nicht finden lassen wollte, löste in ihm Horrorgefühle
aus.
     
    Die zwei verschwundenen Frauen waren zusammen in den Jahren nach der
Wende aus den neuen in die alten Bundesländer gewechselt. Wie ihre Nachbarn später
aussagten, waren sie in bester Laune und mit Neugier auf die Freiheiten des Westens
angekommen und wollten das Leben, jung wie sie waren und befreit vom Mief des realen
Sozialismus, genießen. Sie hatten sofort
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