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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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Der Beamte erklärte in kurzen Worten das
Was, Wann und Wie des Jobs, überreichte ihm ein Bahnticket für die Fahrt auf die
Insel und entließ ihn mit einem freundlichen Lächeln.
    »Herzlichen Dank, Herr Obersekretär. Ich werde
mein Bestes tun und Sie nicht enttäuschen«, verabschiedete sich Jussi, machte kehrt
und gesellte sich zu seinen Landsleuten.
    Er würde sich morgen früh auf den Weg nach
Sylt machen, den Wagen in der Strandallee abholen und raus auf das Grundstück der
Mendel fahren, um dort nähere Anweisungen von ihr zu erhalten. Er hatte vorher schon
bei ihr gearbeitet. Die Tage waren ihm in guter Erinnerung geblieben, und jetzt
freute er sich auf eine Wiederholung. Das Wetter spielte auch mit, denn die Sonne
schien schon seit einigen Tagen von einem wolkenlosen Himmel. Die Temperaturen waren
für ihn äußerst komfortabel. Morgen würde er sich in den Zug setzen und ein paar
schönen Tagen entgegenfahren, den letzten vor seiner Ausreise.

Baiba
     
    Sie griff zum Telefon auf der Rokokokonsole in der Diele und wählte
die Nummer des Hausmeisters. Er hatte in der Vermietungszentrale in Westerland sein
Büro. Zu dieser Uhrzeit, am frühen Morgen, müsste sie ihn dort erreichen können.
Später war er unterwegs, um in ihrem Imperium nach dem Rechten zu sehen. Er meldete
sich sofort.
    »Clausen.«
    »Hallo, Clausen, hier Mendel.«
    »Guten Morgen, Chefin, was kann ich für Sie
tun?«
    »Clausen, ich brauche Unterstützung im Garten.
Die Hecke muss beschnitten werden, der Rasen gemäht, die Büsche und Bäume gekappt,
na, Sie wissen schon, was so anfällt. Haben wir nicht den Gebäudeservice auf der
Insel?«
    »Ja, sie sind seit heute für uns da und im
Einsatz um die Blocks an der Uferpromenade. Ich kann da bestimmt was arrangieren.«
    »Ich brauche einen fleißigen Mann mit Auto.
Der Gartenabfall soll auch abgefahren werden. Die Deponie quillt über. Wir haben
doch den Fiat Doblò und genügend blaue Säcke, nicht wahr?«
    »Ja, blaue Säcke haben wir genug, nur der Kasten
ist eigentlich schon verplant. Ich werde das trotzdem für Sie hinkriegen. In einer
halben bis Dreiviertelstunde haben Sie eine Hilfe bei sich zu Hause.«
    »Ich zähle auf Sie. Und schicken Sie mir keinen
Trottel, ich bitte Sie.«
    »Geht klar, Chefin. Sie können sich auf mich
verlassen, bestimmt. Wenn’s Probleme gibt, rufen Sie mich an. Ich lass mir was einfallen.
Aber das wird nicht passieren, glauben Sie mir.«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr, Clausen. Bis dann.«
    »Bis bald, Chefin. Schönen Tag noch.«
    Sie legte das Telefon an seinen Platz und bewegte
sich mühsam und unter Seufzen zurück ins Wohnzimmer. Ihre Fußgelenke waren angeschwollen
und machten ihr zu schaffen. Sie ließ sich in dem breiten Ohrensessel vor dem großen
Fenster nieder und schaute in den Garten und auf das jenseits des angrenzenden Fahrweges
liegende Watt. Der Himmel war wolkenverhangen, und ihr fröstelte. Niemand außer
ihrem Arzt wollte ihr glauben, dass ihr oft fröstelte. Ihr Körperumfang suggerierte
allen anderen, sie wäre in eine undurchdringliche, isolierende Schutzschicht gehüllt.
    Wie lange war sie schon nicht mehr im Watt
spazieren gegangen? Früher liebte sie es, barfuß durch den schmatzenden Schlamm
zu stapfen. Sie fühlte sich so mit der Erde verbunden, sicher und zu Hause. Wenn
der schwarze Schlick zwischen ihren Zehen hervorquoll, roch es berauschend nach
Meer und Modder. Jetzt schaffte sie es kaum, ihr Grundstück zu verlassen. Die Anstrengung
war ihr einfach zu groß. Die Luft ging ihr schnell aus, und sie hasste es, von Passanten
gemustert zu werden.
    Sie griff sich ein Mon Chéri vom Beistelltisch,
entfernte die pinkfarbene Verpackung und schob sich die Praline in den Mund. Ihr
neuer Arzt hatte das erlaubt. Er stand auf dem Standpunkt, dass sie sich nicht alles
verbieten solle, wonach ihr gerade war. Ein rigoroses Verbot aller Süßigkeiten führe
nur zum Gegenteil dessen, was es beabsichtige. Sie war zu dick, das wusste sie.
Den Ausdruck fett vermied sie. Er klang gemein und ekelhaft. Sie aber war krank,
was konnte sie dafür? Musste sie sich neben den schmerzenden Unannehmlichkeiten
auch noch selbst beschimpfen und schuldig fühlen?
    Sie hatte einen Ernährungsplan mit ihrem neuen
Arzt ausgearbeitet. Ein wichtiger Teil des Planes, neben anderen Maßnahmen, war
die ausgewogene, hochkonzentrierte Gabe von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen
und Lutein. Sie sollten ihre Selbstheilungskräfte stärken. Dann, so hoffte sie –
und
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