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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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Flüchtlingen und Opfern der Bürgerkriege
in den Nachbarländern. Er sah und vor allem roch er das Elend auf den Straßen: Kloake
und verbrennender Müll. Überall wurde Khat [4] verkauft und in dicken Backen gekaut. Die
Droge hielt den Deckel auf dieser brodelnden, vor der Explosion stehenden, giftigen
Suppe. Der wöchentlich einfliegende Khatbomber aus Äthiopien, eine uralte, propellergetriebene
Superconstellation, war der Fixpunkt des Lebens auf der Straße und gab ihm einen
brüchigen Halt. Es ging das Gerücht, dass die Präsidentengattin den Khathandel kontrolliere
und diese Quelle nie versiegenden Geldes geschickt nutzte, die Macht ihres Clans
auszuweiten und zu festigen.
    Jussi war von dem, was er sah und roch, wenig
berührt. Er war aus Somalia längst daran gewöhnt. Welche Rolle spielte schon ein
Leben unter diesen Umständen? Keine. Wichtig war, nicht unter denen zu sein, die
es verloren.
     
    Er traf in Sansibar City ein und wurde am Hafen von einem Assistenten
des Scheichs empfangen. Der führte ihn in die arabisch geprägte Altstadt zu einem
verschachtelten, vielräumigen und von Gängen, Durchlässen und Innenhöfen durchzogenen
Gebäudekomplex, dessen Fassade sich zur Straße hin schroff und kärglich, ja armselig
gab, dessen Innenleben aber von zurückhaltendem Geschmack, Ruhe und Komfort zeugte.
    Außer einigen wenigen männlichen Bediensteten
bekam er keine weiteren Menschen zu Gesicht. Ihm wurde ein Zimmer zugewiesen und
arabisches Essen gereicht mit der Bitte, sich zu gedulden, bis seine Hoheit ihn
rufen lasse.
    Der Sekretär des Scheichs holte ihn schließlich
zur Audienz ab. Sie durchschritten schattige Treppenhäuser und lichte Höfe, bis
sie einen in braunbeige gehaltenen Raum betraten, dessen Einrichtung aus einem bodendeckenden
Teppich und drei Sitzkissen bestand, die aus Afghanistan kamen. Die einzigartige
Qualität und das unverwechselbare Design fielen Jussi sofort ins Auge. Der Scheich
saß auf dem Kissen an der Schmalseite, kerzengerade, die Beine unter eine weiße
Dschalabija [5] geschlagen, und lud sie mit einer beiläufigen Gebärde ein, auf den
gegenüberliegenden Sitzkissen zu seiner rechten und linken Seite Platz zu nehmen.
Er begrüßte Jussi freundlich und mit leiser Stimme. Er überließ es seinem Sekretär
zu erklären, worum es ging:
    Sein Stab brauche einen loyalen Assistenten,
der sich in Europa, speziell in Deutschland, auskenne und vor allem Deutsch sprechen,
lesen und schreiben könne. Er habe die politische Entwicklung anhand deutscher überregionaler
Zeitungen und Magazine zu verfolgen. Er solle Informationen sammeln, zusammenstellen
und ins Arabische übersetzen. Zu seinen Aufgaben gehörte ebenfalls, Schreiben in
Deutsch aufzusetzen und deutsche Schreiben ins Arabische zu übertragen. Es sei auch
nicht auszuschließen, dass er auf Reisen nach Europa gehen müsse. Zurzeit sei jedoch
dafür keine Notwendigkeit zu erkennen. Er könne in Sansibar City, hier in seinem
Stabsquartier, arbeiten, aber auch ein Büro bei der IGAD in Dschibuti stehe ihm zur Verfügung. Empfehlenswert sei sein
Verbleib hier, in der Nähe seiner Hoheit. Eine Bezahlung wurde nicht weiter erwähnt.
    Während der Assistent vortrug, hatte der Scheich
sich nicht gerührt. Seine Augen musterten Jussi eingehend und wandten sich schließlich
einem der zwei schmalen Lichtschächte zu, durch die gedämpftes Licht aus einem Innenhof
in das Zimmer fiel. Nachdem der Assistent geendet hatte, schwiegen sie, als gäbe
es auf dieser Welt nichts mehr zu sagen. Die Ruhe war vollkommen. Nur ein helles
Vogelzwitschern drang in den Raum. Jussi wagte nicht zu reden. Schließlich glaubte
er, den Scheich nicht länger warten lassen zu dürfen. Er hätte sich nicht getraut,
etwas anderes zu tun, als den Wünschen seiner Hoheit zu folgen. Er nickte mit dem
Kopf, und Scheich Hamid quittierte sein Einverständnis mit einer zustimmenden Gebärde.
Der Assistent erhob sich und geleitete Jussi zurück in sein Zimmer.
     
    Fortan arbeitete er für die Scheichs und lernte ihre Geschäfte kennen.
Sie verwalteten ihre immensen Vermögen aus dem Ölgeschäft in gemeinsamem Interesse.
Zu Absprachen trafen sie sich regelmäßig und unauffällig auf Sansibar. Ihre Geschäftsphilosophie
war einfach: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber ohne Brot lebt er gar nicht.
Sie handelten mit Menschen (Politikern, Söldnern, Arbeitern, Frauen und Kindern),
Rohstoffen, Waffen, Geld, Transportmitteln, Medizin und Touristik – genau in
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