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Ins offene Messer

Ins offene Messer

Titel: Ins offene Messer
Autoren: John Baker
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saßen eine Stunde am Tisch, während der sie ihm ihre traurige Lebensgeschichte erzählte. Eine völlig normale Geschichte für eine Rothaarige. Herkunft aus einer Familie der unteren Mittelschicht in den West Midlands, Sekretärinnenfachschule, heiratete den Chef, zog nach York, wurde kurz hintereinander zweimal schwanger, ließ sich von ihm scheiden und hatte am Ende ein Haus und einen Wagen und eine finanzielle Unterstützung, von der sie angenehm leben konnte. Faszinierend. Sam konnte nichts dagegen tun, wenn er Glück hatte.
    Sie schlug vor, zu den bequemeren Sesseln umzuziehen, also verließen sie den Tisch und gingen ans andere Ende des Raumes, wo Sam mit dem Rücken zum Kamin stehenblieb. Sie stand näher vor ihm als je zuvor.
    «Du hattest ein ausgesprochen interessantes Leben», sagte er.
    Sie lächelte. Sie sah das anders. Sie sagte: «Bleibst du?»
    «Wenn du willst, ja», sagte Sam.
    Sie trat näher, und er griff nach dem langen Reißverschluß auf der Rückseite des schwarzen Kleides. Über ihre Schulter bemerkte er, daß sich in seinem Glas immer noch anderthalb Zentimeter Rotwein befand.
     



Kapitel 6
     
    Frances wusch ihre Frühstücksschüssel ab und scheuerte die Spüle und das Abtropfbecken. Als Kind war sie die jüngste und der Liebling ihres Vaters gewesen. Kein Mensch hatte erwartet, daß Frances profane Aufgaben oder Hausarbeit erledigte. Sie war verhätschelt worden, von ihrem Vater geliebt. «Meine Prinzessin», nannte er sie immer. «Meine knuddelige kleine Prinzessin.»
    Das war die Zeit der Geborgenheit, als sie das Baby war und alle anderen die Verantwortung übernehmen ließ. Schon damals hatte Frances gewußt, daß das Leben nicht einfach sein würde, wenn sie
    erwachsen wurde. Sie sagte immer, daß sie nicht erwachsen werden, daß sie für immer Kind bleiben wollte. Aber man ließ sie nicht. Egal, wie passiv sie tat, langsam und zwangsläufig wuchs ihr Körper. In diesem Körper blieb Frances ein Kind, irgendwo in ihrem Inneren war sie immer noch die Prinzessin ihres Vaters. Aber darüber sprach sie nicht mehr. Sie behielt es für sich.
    Sie saß an dem leeren Küchentisch und nahm das Schlachtermesser aus der Schublade. Sie legte es vor sich auf den Tisch und beobachtete das Schimmern der Klinge im Sonnenlicht, das durch das Fenster hereinfiel.
    Sie nahm ein DIN-A4-Blatt aus Grahams Ordner, hielt es mit den Fingerspitzen und las die Botschaft darauf. Dann legte sie es in den Ordner zurück und stellte ihn ordentlich auf das Regal.
    Sie nahm den Mantel vom Haken und legte ihn über ihre Schultern. Sie öffnete die Handtasche, um sich zu vergewissern, daß die Wagenschlüssel darin waren, und durchquerte die Küche zur Tür. Als sie daran vorbeikam, tätschelte sie das Messer und sagte: «Bald. Bald.»
     
    Frances fuhr mit dem schwarzen Panda nach Bishophill und ließ ihn am Straßenrand stehen. Sie ging zu der Sackgasse, und dann ging sie die eine Straßenseite hinunter und die andere wieder herauf. Das Haus der Deacons wirkte um diese Uhrzeit ruhig.
    Sie ging wieder die Sackgasse hinunter, nahm diesmal aber einen Fußweg am Kopfende der Straße und folgte ihm in die Stadt.
    Im Verlauf des Tages kehrte sie viermal zurück. Beim zweiten Mal sah sie Jane Deacon aus dem Haus kommen. Sie folgte ihr eine Weile, gab dann aber auf, als Jane Deacon eine andere Frau traf, mit der sie tratschend auf dem Bürgersteig stehenblieb.
    Als sie das vierte Mal in die Sackgasse zurückkehrte, sah sie Terry Deacon. Sein Auto war schmutzig. Er kümmerte sich um gar nichts.
    «Ich hab ihn gesehen», sagte Frances dem Messer, als sie wieder nach Hause kam. «Er ist ekelhaft.»
     

Kapitel 7

     
    Montag während des AA-Treffens zog Sam Bilanz. Es schien tatsächlich bergauf zu gehen. Er hatte Geld und eine Frau, und er war Privatdetektiv. Er mußte keinen Scheiß mehr erzählen.
    Dienstag abend mußte er eine halbe Stunde warten, bevor Jane Deacon in ihrem kleinen blauen Kaschmirkostüm aus dem Törchen kam, in ihren weißen Peugeot stieg und langsam die Straße entlang fuhr, über die schlafenden Polizisten. Sam legte einen Gang ein und folgte ihr in angemessenem Abstand.
    Es war keine lange Reise. Sie fuhr hinaus auf die Hull Road und bog in die Einfahrt eines Hauses mit einem Doppelerker ein, Nummer 386a. Es war ein freistehendes Haus und nicht so alt wie die Nachbarhäuser. Sam überlegte, daß vielleicht einige der älteren Häuser abgerissen und dieses in die so entstandene Lücke gebaut worden
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