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Ins offene Messer

Ins offene Messer

Titel: Ins offene Messer
Autoren: John Baker
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in dem alle möglichen Gruppen stattfinden, an jedem Abend der Woche. Es kostet neunzig Pence, um reinzukommen, und an diesem speziellen Abend hatte Sam die Wahl zwischen Esperanto oder der Männergruppe oder wieder mit dem Saufen anzufangen. Er ging zu ihnen rein und nahm im Kreis Platz.
    Sie redeten über Märchen und Iron John und darüber, daß Frauen in Verbindung mit der Erde standen und Männer im zwanzigsten Jahrhundert entfremdet waren. Sam dachte daran, zur Esperanto-Gruppe zu wechseln oder auf ein Bier und einen Schnaps fünfzig Meter die Straße runterzugehen. Aber er blieb.
    Zwei von ihnen waren schwul oder spielten mit der Idee und kauften ihre Ohrringe gemeinsam. An diesem Abend trugen sie winzige schwarz-silberne Gitarren, aber an anderen Abenden waren es große Kreolen oder Herzchen oder zwei Js. Sie hießen John und Jeffrey. Die meisten anderen trugen kleine goldene Kreolen, mit Ausnahme von Deacon, der überhaupt nichts trug, und einem Burschen namens Bock, der in einem Ohr neun, in dem anderen drei und durch die Nase zwei Ringe hatte. Der Typ sah aus wie ein Weihnachtsbaum.
    Bevor sie anfingen, nannte jeder Namen und Beruf. Als er an der Reihe war, sagte Sam, er hieße Sam Turner und sei Privatdetektiv, und alle sagten, das sei ja wirklich interessant. Sam fand interessant, woher der Name kam, denn er hatte ihn frei erfunden, als er vor einigen Jahren durch Kalifornien reiste. Die Sache mit dem Privatdetektiv war beinahe richtig. Er hatte schon sein ganzes Leben darüber nachgedacht. Es war ein Lied, das er gut kannte, also gab’s keinen Grund, es nicht zu singen.
    Der einzige Iron John, den Sam kannte, hatte im Knast von Hull gesessen, wo er zwanzig Jahre einer lebenslänglichen Haftstrafe für den Mord an einem Polizisten absaß. Als Sam ihnen das erzählte, hörten sie auf, über Märchen zu sprechen, und drehten ihm ihre Ohrringe zu. Das war wirklich interessant, fanden sie. Ihre kleinen Augen leuchteten auf wie Wunderkerzen. Wie war er? Zeigte er Reue? Und der Knast von Hull, wie war’s dort drinnen? Mein Gott, diese Typen waren unglaublich. Fünfundvierzig Minuten, und sie fraßen Sam aus der Hand.
    Wie der Mann schon sagte, man muß jemandem dienen.
    Er war fast jeden Abend in diesem Haus. Montags ging er zu den Anonymen Alkoholikern. Dienstags war’s ein Singles-Club. Mittwochs die Männergruppe. Donnerstag ein anderer Singles-Club. Und freitags eine Elektronik-User-Gruppe. Wenn man unter die Abstinenzler geht, muß man sich ständig beschäftigen.
    Sam dachte, die Singles-Clubs würden ihm helfen, relativ mühelos sein Sexualleben aufrechtzuerhalten, aber es waren ziemlich zähe Veranstaltungen. Die Leute hatten Angst, wieder verletzt zu werden. Himmel, wo hatten sie gelebt?
    Brenda, seine letzte Ehefrau, sagte immer: Wenn’s nicht ein bißchen weh tut, dann ist es nicht der Mühe wert. Sie fand einen Typen mit einem Mercedes und drei Häusern, und es war Liebe auf den ersten Blick. Sam sagte ihr, er würde ihr nicht im Weg stehen, und sie sagte: «Wer fragt dich ?» und ging. Er konnte sich nicht mehr an die besten Sachen erinnern, die sie sagte. Lebte jetzt in Tadcaster mit dem Mercedes-Typen. Aber es machte Sam nicht besonders viel aus. Schon bald normalisierte sich das Leben wieder. Er fuhr zu Sainsbury’s und gab 170 Pfund für ihren guten Whisky aus. Er packte ein Zelt in den Wagen und fuhr rauf ins Moor, schlug das Zelt ungefähr anderthalb Meilen oberhalb des Blakey Head-Pub auf. Dann trank er bis zum Umfallen.
    Am nächsten Tag wanderte er zum Blakey und bestellte sich ein Bier mit einem Gläschen zum Nachspülen. Dort blieb er, bis sie zumachten, und kehrte dann zu dem Stoff im Zelt zurück. Alles in allem dauerte es drei Wochen. Er verlor zwanzig Pfund und hörte auf, von Brenda zu träumen.
    Wieder in York, blieb er für einen Monat trocken, dann folgten drei Wochen mit hartem Stoff. Er war wieder trocken. Schlug wieder zu. Schaffte es trotzdem, eine Wohnung zu finden, natürlich im Erdgeschoß, denn so brach er sich nicht den Hals, wenn er voll auf dem Alk war. Er wurde wieder trocken, aß mal wieder richtig, brachte seine gesamte Garderobe in den Waschsalon. Er füllte die Lebensmittelvorräte in den Schränken auf, reinigte die Teppiche, erledigte den Abwasch eines Monats, rasierte sich. Dann saß er in einer Kneipe, ein Glas vor sich, und konnte womöglich den ganzen Abend dort sitzen, ohne es anzurühren, bis sie den Laden dicht machten. Als er das nächste Mal in
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