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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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Veränderung seiner Füße. Ein dunkelblauer Fleck breitete sich an der rechten großen Zehe aus, und das war keine Geistererscheinung, sondern ein körperlicher Vorgang, der wie in Zeitraffer ablief. Während die Hautverfärbung sich zum Knöchel hin und auf die anderen Zehen ausdehnte, wurde sie im Zentrum schon schwarz, und die Schwärze lief mit der Bläue um die Wette bis zum Gelenk, sprang auf den anderen Fuß über und verbreitete sich dort genauso rasend schnell. Sebastian stöhnte auf, sank zu Boden, ließ sich nach hinten fallen und erbrach einen langgedehnten Schmerzensschrei.
    Im selben Moment ging Wendelin Forberig mit hocherhoben gezücktem Dolch auf Egon Stubenfeuer los, stach ihm die Klinge in die weiche Kuhle über dem Schlüsselbein, fällte ihn damit in Sekundenschnelle, kniete sich auf ihn, griff nach dem Giftbecher und goss ihm die gelbe Flüssigkeit zwischen die geöffneten Lippen. Stubenfeuer spuckte, gurgelte und hustete, aber schluckte doch genug von dem Zeug, um schließlich zu resignieren und zu erlahmen. Er hörte auf zu zappeln. Forberig ließ von ihm ab, tauchte seinen blutverschmierten Dolch in die Karaffe des trübgelben Giftes, wie um ihn zu reinigen, und nahm mich ins Visier.
    Er war ein großer, schwerer Mann, schon ohne Besessenheit stark genug, dass ich mit meiner Behäbigkeit und meinen vielen Wehwehchen keine Chance gegen ihn gehabt hätte, aber jetzt wirkte er, als hätten sich alle Geister dieser Gruft in ihm zusammengefunden zu ihrer letzten großen Attacke.
    Meine Fluchtreaktion, als ich ihn sich mir zuwenden sah, kam zu spät. Er packte mich am Handgelenk und stach mir die vergiftete Dolchspitze in den Bauch. Ich versuchte, mich zu beherrschen, aber der Schmerz kam so plötzlich und brutal heftig, dass ich gar nicht anders konnte als aufzuschreien.
    Herr Franz, Sebastians Mutter und Vera standen wie verwurzelt, starrten zu uns herüber, schienen nicht recht zu begreifen, was passierte, und völlig außerstande zu sein, in irgendeiner Weise einzugreifen.
    Es war Sebastian, der sich entschlossen hatte, etwas zu tun. Das Gesicht schmerzverzerrt, kniete er am Boden, versuchte aufzustehen, und er schrie kurz und wimmernd, als ihm seine abgestorbenen Füße den Dienst versagten. Er hob seinen Dolch auf, kroch auf allen Vieren auf uns zu, verkrallte seine eine Hand im Hosenbein seines Vaters und versuchte, so weit wie möglich in die Höhe zu kommen und ihn dabei herunterzuziehen.
    Ich wunderte mich, warum Wendelin Forberig nichts unternahm, und fand die Antwort in seinem Gesicht, als ich schräg zu ihm hochschaute: Er genoss es, Sebastian vor sich kriechen zu sehen. In diesem Moment erst begriff ich, wie groß der Hass zwischen den beiden war.
    „ Lass sie los“, keuchte Sebastian in seiner kauernden Haltung, mühte sich ab, auf die Beine zu kommen, aber seine toten Füße waren nicht zu gebrauchen.
    „ Du hast unseren Pakt gebrochen, SeFo, und jetzt bezahlst du mit dem, was dir am wichtigsten ist. Ich habe trotz allem gewonnen. Die Giftmörder sind bestraft, und du wirst alles verlieren: deine Füße, deine Freiheit, deine Zukunft.“
    Das war nicht die Stimme von Wendelin Forberig. Sie kam zwar aus seinem Mund, aber der Tonfall war der, mit dem Sebastian kurz zuvor noch gesprochen hatte.
    Die Dolchspitze steckte in meinem Bauch. Ohne es zu wollen verursachte Sebastian durch sein Gezerre, dass sie tiefer in mich drang und dabei gedreht wurde. Wieder konnte ich nicht anders als aufzuschreien. Ich meinte, das Gift sich in meiner Blutbahn ausbreiten zu fühlen, und es war mir, als verliere ich Verstand und Bewusstsein gleichermaßen. Die Welt drehte sich und kippte, und für Sekunden muss ich ohne Wahrnehmung gewesen sein.
    Als ich wieder zu mir kam, auf der Seite am Boden liegend, vom Einfluss des Giftes benebelt, bot sich mir im Licht der Fackeln ein groteskes Bild. Vera, Sebastians Mutter und Herr Franz standen noch immer wie Puppen am Kopfende der beiden Särge, hielten ihre Fackeln hoch, die Dolche ausgestreckt und starrten geradeaus.
    Zwischen den beiden Särgen, wo die Skelette lagen und der regungslose Egon Stubenfeuer, da hingen Sebastian und sein Vater aneinander und rangen miteinander. Der eine hatte sich halb hochgezogen, den anderen dabei ein Stück hinuntergezerrt, so dass sie auf Augenhöhe waren. Der Dolch in Sebastians rechter Hand zielte auf das Herz seines Gegners, der wiederum Sebastians um den Griff geschlossene Hand mit beiden Händen umklammerte.
    Auf den
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