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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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die Opfer? Täter waren sie, die mit dem Gift zur Rechenschaft gezogen wurden für Verbrechen im Übermaß!“
    „ Schweigt!“
    „ Ich schweige nicht! Ihr habt uns behandelt wie den letzten Dreck! Ihr verdammtes Inzucht-Pack, denkt ihr, wir haben nicht mitbekommen, wie die Schwester mit dem Bruder und der Vater mit der Tochter? Sodom und Gomorra war das hier, und durch uns wirkte nur die reinigende Hand Gottes.“
    Es war die Stubenfeuerin, die aus mir sprach, eine böse Frau, der Böses angetan worden war als Dienerin dieser Familie, die sich gerächt und Rache erfahren hatte, die alles wusste, was zu wissen war. Aber ich wollte ich selbst sein.
    Der Widerstand war größer als erwartet, als ich in meine Hosentasche griff und den kleinen Knochen befühlte.
    Lass ihn stecken!
    Der Befehl kam direkt vom Blauen Frosch, ohne dass Sebastian die Lippen hätte öffnen müssen.
    Ich zog den Knochen hervor, drehte ihn zwischen meinen Fingern. Die Stubenfeuerin in mir gab ihre letzten Geheimnisse preis. Ich sah durch ihre Augen ihre Hände das Gift mischen und ins Essen der Herrschaften träufeln. Bis heute tat es ihr nicht leid. Sie musste ich zuerst los werden.
    Meine Finger öffneten sich. „Plapp“ machte es leise, als das Knöchelchen auf den Steinboden fiel, und „Krch“, als ich es zertrat.
    Sebastian schüttelte ganz sacht den Kopf.
    „ Nimm dir ein anderes.“
    „ Nein.“
    „ Dann fangen wir mit dem Stubenfeuer an.“
    Er wandte sich ihm zu und befahl: „Trink! Und dann zwingst du deine Frau zu trinken.“
    Der Mann im Arbeitsanzug, der durch meine Initiative hier stand und mich dafür hasste, streckte seine zitternde rechte Hand nach dem Giftkrug aus, packte den Henkel und schenkte zwei Becher ein.
    Meine Gedanken hingen halb in der Gegenwart und halb in dem, was ich über die Räume hier, das Schloss, die ganze Geschichte, den zwingenden Verlauf der Ereignisse bis zu diesem Moment gelesen und erlebt hatte. Und endlich begriff ich, was hier los war. Ich begriff: Sebastian wollte vielleicht nicht, aber er duldete ganz bewusst, was der Blaue Frosch mit ihm tat, und er duldete es aus einem ganz eigennützigen Grund. Es stand alles in seinem Bericht.
    „ Dein Schlüsselbund, Sebastian“, sagte ich leise zu ihm.
    „ Halt’s Maul!“, fauchte der Blaue Frosch aus ihm. „Gib ihr zu trinken“, befahl er dem Mann im Arbeitsanzug, der sich für einen seiner Ahnen hielt, bestraft werden und durch sein Tun den Familienfluch brechen wollte. Er griff nach einem der beiden Becher.
    „ Ich sehe doch, dass du deinen Schlüsselbund immer noch hast, Sebastian, die Beule rechts unter deinem T-Shirt. Was hat es damit auf sich?“
    Seine Froschaugen irrlichterten zwischen Stubenfeuer und mir hin und her. Stubenfeuer hielt mir den Becher hin, wartete darauf, dass ich zugriff, wartete auf den nächsten Befehl.
    „ Es hat mit dem zu tun, was hier passiert, oder? Was sind das für Schlüssel?“
    „ Einfach... nur Schlüssel“, sagte Sebastian leise. Er war noch da, ein kleiner Rest von ihm hatte sich in sich selbst zurückgezogen gehabt und schien nun endlich wieder zu erwachen.
    „ Nimm den Becher und trink!“, schrie der Blaue Frosch. „Du kannst Knochen zertreten wie du willst, die Stubenfeuerin steckt doch in dir, und sie wird heute bestraft werden!“
    Er hatte recht. Und so wie sie noch in mir steckte, so steckte Sebastian noch in ihm.
    „ Und wofür sind diese Schlüssel? Für welche Räume?“
    „ Nicht nur... Räume.“
    „ Sondern?“
    „ Alles. Alles... in unserem Haus.“
    „ Und warum hast du dir die ganzen Schlüssel genommen? Warum hast du sie nicht stecken lassen?“
    Er schaute mich an, löste den Blick von mir, suchte damit jemand anders, suchte von Person zu Person in dieser Gruft voller Zombies und blieb an der Gestalt hängen, die seine Mutter war.
    „ Sie. Meine Mutter. Damit sie mich nicht mehr einsperren kann.“
    „ Warum hat sie dich eingesperrt? Wo?“
    „ Überall. In Kammern und Schränken. Den Bettkasten. Wenn sie wegging... oder ich was sagte, was ihr nicht gefiel.“
    „ Und dann? Was ist passiert?“
    „ Einmal, ich war fünf Jahre alt... wäre ich fast erstickt. In einer Truhe. Wie eine Kiste war das, eng und dunkel.“
    Seine Mutter, ganz Marionette, schaute zu ihm herüber und schwieg mit aufgeblähten Backen wie geknebelt.
    „ Es tat ihr ehrlich leid, sie ist so erschrocken...“
    Er würgte, und ich wagte es, den Satz leise zu vollenden: „...dass sie dir alle
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