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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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doch...!“
    „ Was?“
    Er machte ein Gesicht als habe er eine Doofe vor sich.
    „ Na, was wohl? Die Absperrung haben doch irgendwelche Behörden angebracht.“
    „ Jetzt kommen Sie schon!“
    „ Über einen Zaun klettern, ist eine Sache – ihn mutwillig zerstören eine andere.“
    „ Ich denke, Sie träumen davon, das Schloss Friedrichsruh kennenzulernen.“
    „ Das Schloss gibt es nicht mehr. Schauen Sie sich doch mal um!“
    „ Und wo führt dieses Loch wohl hin?“
    „ Keine Ahnung. Vielleicht Reste von Kellern oder irgendwelche Hohlräume wie Stollen oder Höhlen.“
    Er starrte durch das Gitter hinein, und man sah ihm an, dass ihn das Loch brennend interessierte – aber dass genauso groß auch sein Widerstreben war, sich auf das Abenteuer einzulassen.
    „ Was ist los“, fragte ich provozierend, „haben Sie Angst?“
    „ Natürlich nicht. Aber ich habe eine gebrochene Hüfte, verdammt noch mal!“
    Demonstrativ streckte er mir die Krücken entgegen als ziele er mit zwei Gewehren auf mich. Ich drückte eine davon mit dem Finger von mir weg.
    „ Jetzt stellen Sie sich nicht so an. Der Unfall war vor zwei Monaten. Sie könnten längst wieder laufen, wenn sie wollten. Stehen ohne Krücken geht ja schon mal ganz prima.“
    Er gab einen Laut der Empörung von sich und glotzte mich mit großen Augen an.
    „ Und warum sollte ich nicht wollen?“
    „ Keine Ahnung, aber ich denke schon, dass Sie Angst haben.“
    „ Hab ich nicht!“
    „ Mir egal. Was mich betrifft, habe ich schweres Asthma, ein schlimmes Knie und 30 Kilo Übergewicht, aber ich steige da trotzdem rein. Geben Sie mir die Säge.“
    Ich streckte ihm die Hand entgegen, und er starrte mich erst mal an. Dann begann er, resignierend den Kopf zu schütteln, legte die Krücken beiseite, tat, als sei es eine unerhörte Glanzleistung, auf seinen zwei Beinen zu stehen, und holte die Säge hervor, die er mit dem Griff in eine seiner hinteren Taschen gesteckt hatte. Demonstrativ hinkend trat er an den Zaun heran, prüfte das Absperrgitter mit zwei Fingern und begann, an einer der Längsverstrebungen zu sägen. Wie erwartet, waren die dünnen Metallstäbe kein allzu großes Hindernis.
    „ Na sehen Sie“, lobte ich ihn und krempelte mir die Hosenbeine eine Handbreit hoch.
    „ Ich habe kein gutes Gefühl dabei.“
    „ Ich auch nicht.“
    Er hörte auf zu sägen, sah mich an und sagte leise und ernsthaft: „Nicht einfach nur so, sondern so richtig. Ich glaube, dass wir hier sind, hat mit dem Fluch zu tun – und nicht damit, dass wir neugierig sind und was herausfinden wollen.“
    Ich nickte, griff nach der Säge und sagte: „Dann sollten Sie aber so schnell wie möglich verschwinden und nie mehr hierher kommen.“
    Er schnaubte und schüttelte den Kopf.
    „ Bloß, dass das wahrscheinlich nichts nützen würde.“
     

    Es dauerte keine zehn Minuten, da hatte er genug Längsverstrebungen durchgesägt, um ein quadratmetergroßes Teil aus dem Absperrzaun zu entfernen. Er ließ seine Krücken liegen und stieg hindurch. Inzwischen hatte er vergessen, so zu tun als bereite ihm das Laufen furchtbare Qualen.
    „ Nehmen Sie das blöde Ding doch einfach ab“, verlangte er, als ich beim Durchsteigen mit dem Hut an einer der scharfkantigen Verstrebungen hängen blieb. „Oder verstecken Sie da drunter etwa ne Glatze?“
    Der derbe Scherz ging mir so unter die Haut, dass aus mühsam gezügelter Antipathie gegen diesen Mann lodernder Hass wurde.
    „ Versteh schon“, spottete er grinsend weiter, „der Hut ist so was wie Ihr Markenzeichen. Die geheimnisvolle schwarze Lady oder so.“
    Ich machte mich so klein wie möglich, schaffte es gar hindurch und schloss auf zu dem Kerl, der inzwischen neben den Spalt getreten war und mit schief gehaltenem Kopf hineinsah.
    „ Da passen Sie niemals durch, schon gar nicht mit Hut.“
    Er versuchte, ernst zu gucken, aber prustete dann über seinen eigenen Scherz los wie ein albernes Gör.
    „ Sie sterben langsam und unter großen Schmerzen“, sagte ich zu ihm. Sagte ich das zu ihm? Es klang nüchtern und sachlich, nicht mal wie eine Antwort, erst recht nicht wie eine Retourkutsche, und dementsprechend blieb ihm das Lachen im Hals stecken. Ich war mir nicht so recht sicher, was mich getrieben hatte, das zu sagen. Was hatte er auch über meinen Hut gespottet! Etwas hatte gesagt werden müssen, und gewirkt hatte es – das, was immer es war.
    „ Sie zuerst“, befahl ich. „Oder haben Sie jetzt endgültig die Hosen
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