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In Todesangst

Titel: In Todesangst
Autoren: Linwood Barclay
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zur Hand, förderte einen Filzstift aus der Küchenschublade zutage und malte ein Gesicht darauf. Einen Grinsemund mit Zähnen, eine dicke Nase und zwei fies blickende Augen. Vom Mund aus zog ich einen Pfeil zur Rückseite und schrieb: »Lach mal wieder!«
    Sie schlurfte wie ein Langzeithäftling in die Küche, ließ sich auf den Stuhl fallen und starrte in ihren Schoß. Die Haare fielen ihr über die Augen, ihre Arme hingen schlaff herab. In ihrem Haar steckte eine überdimensionale Sonnenbrille, die ich noch nie an ihr gesehen hatte.
    Das Rührei war im Handumdrehen fertig. Ich gab es auf einen Teller und stellte ihn vor ihr auf den Tisch.
    »Eure Hoheit«, sagte ich, wobei ich ein wenig lauter sprechen musste, um den Nachrichtensprecher zu übertönen, dessen Stimme aus dem Fernseher auf der Anrichte dröhnte.
    Langsam hob Sydney den Kopf, blickte auf den Teller und schließlich auf die Eierschale mit dem Humpty-Dumpty-Gesicht, das ich für sie gezeichnet hatte.
    »O Gott«, sagte sie, griff nach dem halben Ei und las, was auf der Rückseite stand. »Lach doch selber«, sagte sie dann, wenn auch mit einem leicht scherzhaften Unterton in der Stimme.
    »Neue Sonnenbrille?«, erkundigte ich mich.
    Geistesabwesend fasste sie sich an den Kopf, tastete nach dem einen Bügel und rückte die Brille kaum merklich zurecht.
    »Ja«, sagte sie.
    Versace stand in winzigen Lettern auf den Bügeln. »Steht dir gut«, sagte ich.
    Syd nickte müde.
    »Gestern ist es wohl ziemlich spät geworden«, sagte ich.
    »So spät nun auch wieder nicht«, gab sie zurück.
    »Mitternacht ist für mich spät«, sagte ich.
    Sie wusste, dass sie es gar nicht erst abzustreiten brauchte. Ich ging nie zu Bett, bevor Syd nicht in unser Haus an der Hill Street zurückgekehrt war und die Haustür hinter sich abgeschlossen hatte. Ich nahm an, dass sie mit ihrer Freundin Patty Swain unterwegs gewesen war; Patty war ebenfalls siebzehn, machte aber den Eindruck, als hätte sie ein wenig mehr Erfahrung mit den Dingen, die Vätern den Schlaf rauben. Ich war jedenfalls nicht so naiv zu glauben, dass sie keine Ahnung von Alkohol, Sex und Drogen hatte.
    Aber Syd war auch nicht gerade ein Engel. Ich hatte sie mal mit Dope erwischt, und vor zwei Jahren war sie mit einem T-Shirt aus dem Abercrombie-&-Fitch-Laden in Stamford nach Hause gekommen, ohne ihrer Mutter erklären zu können, warum sie keinen Kassenbon hatte. Das hatte richtig Ärger gegeben.
    Vielleicht war das der Grund, warum mir die Sonnenbrille derart ins Auge stach.
    »Wie viel hast du dafür hingelegt?«, fragte ich.
    »War gar nicht so teuer«, antwortete sie.
    »Und wie geht’s Patty?« Eigentlich fragte ich nur, weil ich wissen wollte, ob Syd tatsächlich mit ihr um die Häuser gezogen war. Die beiden waren erst seit ungefähr einem Jahr befreundet, verbrachten aber so viel Zeit miteinander, als würden sie sich schon seit dem Kindergarten kennen. Ich mochte Patty – sie hatte eine erfrischend direkte Art –, aber manchmal wünschte ich, Syd würde nicht so oft mit ihr herumhängen.
    »Sie ist cool«, sagte Syd.
    Der Nachrichtensprecher warnte vor radioaktiv verstrahlten Küchenarbeitsflächen aus Granit. Jeden Tag etwas Neues, worum man sich Sorgen machen musste.
    Syd machte sich über ihr Rührei her. »Mmm.« Sie warf einen Blick zum Fernseher hinüber. »Bob«, sagte sie.
    Ich sah ebenfalls hin. Einer der Werbespots seiner Firma. Ein hochgewachsener Mann mit Halbglatze, einem breiten Lächeln und makellosen Zähnen, der mit ausgebreiteten Armen vor einer schier endlosen Flotte von Autos stand.
    »Jetzt aber los zu Bob’s Motors!«, sagte er. »Kein Wagen, den Sie in Zahlung geben können? Kein Problem! Kein Geld für eine Anzahlung? Kein Problem! Keinen Führerschein? Tja, das ist ein Problem! Aber wenn Sie nach einem neuen Wagen suchen, sind unsere Top-Angebote genau das Richtige für Sie. Besuchen Sie uns in einer unserer drei Filia–«
    Ich schaltete den Ton weg.
    »Bob ist schon ein ziemlicher Trottel«, sagte Sydney über den Mann, mit dem ihre Mutter zusammenlebte. »Aber in diesen Werbespots kommt er wie der letzte Volltrottel rüber. Was gibt’s zum Abendessen?« Kein Frühstück ohne die Frage, was nach Feierabend auf den Tisch kommen würde. »Wie wär’s, wenn wir uns was kommen lassen?« Sie überlegte einen Moment. »Pizza, zum Beispiel.«
    »Ich denke, ich werde uns etwas kochen«, sagte ich. Syd machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung.
    Im letzten Sommer war Syd noch
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