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In Todesangst

Titel: In Todesangst
Autoren: Linwood Barclay
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mit mir zur Arbeit gefahren, doch anschließend waren Susanne und ich übereingekommen, ihr einen Wagen zu besorgen. Für zweitausend Dollar hatte ich einen sieben Jahre alten Honda Civic gekauft, der von einem Kunden in Zahlung gegeben worden war. An den Kotflügeln war er ein bisschen rostig, aber sonst gut in Schuss.
    »Der hat ja gar keinen Spoiler«, platzte Syd heraus, als wir ihr den Wagen präsentierten.
    »Halt bloß den Mund«, sagte ich.
    Nur einmal hatte ich sie seitdem zur Arbeit gebracht. Der Auspuff des Civic war defekt gewesen, also hatte ich sie über die Route I – für mich immer noch die alte Boston Post Road – zum Just Inn Time gebracht, einem weithin sichtbaren, trostlosen grauen Kasten, der aussah wie ein Plattenbau in irgendeinem sowjetischen Satellitenstaat.
    Ich wollte sie direkt vor dem Eingang absetzen, doch Syd verlangte, dass ich sie schon vorher an der Straße in der Nähe einer Bushaltestelle herausließ. »Hier warte ich auch nach Feierabend auf dich«, hatte sie gesagt.
    Bobs Werbespot war vorbei, und ich drehte den Ton wieder an. Ein Reporter interviewte jemanden vor dem Rockefeller Center. Hinter den beiden winkten Leute in die Kamera.
    Ich betrachtete meine Tochter, während sie ihr Frühstück aß. Als Vater ist man unglaublich stolz auf seine Tochter – nun ja, ich jedenfalls. Sie war wirklich eine wunderschöne Frau. Blondes Haar, das sanft auf ihre Schultern fiel, ein langer, anmutiger Hals, Porzellanhaut, klare, ausdrucksstarke Züge. Die Vorfahren ihrer Mutter stammen aus Norwegen, daher ihr nordisches Aussehen.
    Als würde sie spüren, wie mein Blick auf ihr ruhte, fragte sie plötzlich: »Meinst du, ich hätte das Zeug, Model zu werden?«
    »Model?«, fragte ich.
    »Jetzt tu nicht so geschockt«, sagte sie.
    »Bin ich gar nicht«, sagte ich abwehrend. »Aber du hast noch nie was davon gesagt.«
    »Na ja, ich habe vorher nie dran gedacht. Es war Bobs Idee.«
    Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Bob ermutigte meine Tochter, eine Karriere als Model anzustreben? Er war Anfang vierzig, so wie ich selbst auch. Na schön, meine Exfrau und meine Tochter lebten unter seinem Dach, in seiner schicken Villa mit Swimmingpool und Dreiergarage – aber wieso riet er ihr, sich als Model zu betätigen? Als was für eine Art Model überhaupt? Pin-up-Fotos? Webcam-Pornos? Wollte er die Aufnahmen selber machen?
    »Bob?«, sagte ich.
    »Er meint, ich wäre ein Naturtalent und müsste unbedingt in einem seiner Werbespots auftreten.«
    Schwer zu sagen, was erniedrigender war – Nacktfotos im Penthouse oder ein Reklamespot für Bobs Gebrauchtkisten.
    »Was ist los? Findest du das etwa schlimm?«
    »Der hat sie doch nicht mehr alle«, sagte ich.
    »Er ist kein Perverser oder so«, gab sie zurück. »Ein Trottel, ja, aber ganz bestimmt kein Perverser. Mom und Evan fanden die Idee auch gut.«
    »Evan?«
    Nun wurde ich erst so richtig sauer. Evan war Bobs neunzehnjähriger Sohn. Bislang hatte er die meiste Zeit über bei seiner Mutter gelebt, Bobs Exfrau, die sich aber für drei Monate auf einer Europareise befand, weshalb er vorübergehend zu seinem Vater gezogen war. Er schlief im ersten Stock, genau wie Syd, die von ihrem Zimmer schwärmte und mir immer wieder unter die Nase rieb, dass es doppelt so groß war wie die Besenkammer, die sie bei mir bewohnen musste.
    Früher hatten wir ein größeres Haus gehabt.
    Die Vorstellung, dass meine Tochter neuerdings mit einem notgeilen Jüngling unter einem Dach lebte, hatte mir von Anfang an nicht geschmeckt. Erstaunlicherweise hatte Susanne zugestimmt; offenbar war es mit ihrer Durchsetzungskraft nicht mehr weit her. Aber was erwartete ich? Dass sie von ihrem neuen Freund verlangte, seinen Sohn rauszuschmeißen?
    »Ja, Evan«, sagte Syd. »Er wird ja wohl noch seine Meinung sagen dürfen.«
    »Und dass er dort wohnt, passt mir im Übrigen auch nicht.«
    »O Gott, Dad, jetzt fang nicht schon wieder damit an.«
    »Ein neunzehnjähriger Knilch, der mit dir zusammenwohnt – das geht nicht, es sei denn, er wäre dein Bruder.«
    Sie errötete. »Das ist doch völlig harmlos.«
    »Und deine Mutter ist damit einverstanden? Dass Bob und sein Sohn dir einreden, du wärst die nächste Cindy Crawford?«
    »Cindy wer?«
    »Crawford«, sagte ich. »Sie war … na ja, egal. Und deine Mutter sagt zu alldem ja und amen, oder was?«
    »Jedenfalls flippt sie deshalb nicht gleich aus.« Syd warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Außerdem hilft Evan, wo
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