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In seinem Bann

In seinem Bann

Titel: In seinem Bann
Autoren: Anaïs Goutier
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entsprechenden Partner gelöst und für den entscheidenden Schritt gewappnet hatte.
    Und mit Ian Reed hatte es nicht einmal den Gedanken an eine Beziehung gegeben, nicht einmal eine Liebelei. Faktisch war es tatsächlich nichts anderes gewesen als ein One-Night-Stand, nicht mehr und nicht weniger. Und wenn ich es recht bedachte, hatte Ian mir auch mit keinem Wort Hoffnungen auf irgendetwas anderes gemacht.
    Ich war dreißig Jahre alt und auch wenn dies für mich persönlich eine völlig neue und die allererste Erfahrung dieser Art war, hätte mich das nicht derart aus der Bahn werfen dürfen.
    Noch am Nachmittag zuvor war Ian Reed für mich nicht mehr als ein Name in der Presse gewesen, der Erbe eines der weltweit größten Hotel-Unternehmen, dessen Immobilien-Investments man unter dem Gesichtspunkt von Gentrifizierung und Luxussanierung allenfalls kritisch zu verfolgen hatte.
    Nun aber lagen die Dinge anders.
    Ich dachte an seine faszinierenden graublauen Augen, an seine schöne Stimme mit dem vornehmen britischen Akzent, daran, wie aufrichtig er in dieser Nacht zu mir gewesen war und wie gut und richtig es sich angefühlt hatte, mit ihm zu schlafen.
    Ich fühlte den Spuren nach, die Ian auf und in meinem Körper hinterlassen hatte. Automatisch berührte ich meine Handgelenke, die ein wenig wundgescheuert waren von den ledernen Manschetten und meinen ekstatischen Befreiungsversuchen. Ich spürte noch Ians schöne, fordernde Hände, wie sie meine Hüften umfassten, meine Brüste kneteten, meinen Po tätschelten. Meine Lippen waren noch geschwollen von seinen gierigen Küssen und ich spürte das heftige Wundsein zwischen meinen Beinen.
    Und dann dachte ich an den Koffer und daran, wie nahe Lust und Melancholie in dieser Nacht beieinander gelegen hatten.
    In nur einer Nacht hatte ich mein Herz verloren und er hatte es mir gebrochen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich schluchzend unter der Dusche stehenblieb, aber als ich mich endlich dazu durchringen konnte, den Duschhahn abzudrehen, waren meine Hände so runzelig, dass ich den Griff kaum zu fassen bekam.
    Den ganzen Freitag und Samstag verkroch ich mich, wechselte nur zwischen Couch und Bett, fühlte mich matt und entsetzlich müde und benahm mich, als hätte mich die Grippe erwischt. Ich kochte mir Kräutertee statt Kaffee und schlief so viel, als hätte ich wochenlang unter Schlafentzug gelitten.
    Erst am Sonntag fühlte ich mich in der Lage, auf die unzähligen Anrufe und Kurzmitteilungen zu reagieren, die mir Kiki in den zwei vorangegangenen Tagen hatte zukommen lassen. Ihr Ton war immer besorgter geworden und so griff ich schließlich zu meinem Handy und rief sie an.
    Es gelang mir, nicht allzu niedergeschlagen zu klingen und meine späte Rückmeldung erklärte ich mit einer heftigen Migräne und einem leeren Handy-Akku.
    Wir verabredeten uns für den Nachmittag in der Cafébar im Kunstverein.
    Natürlich war ich wieder einmal vor Kiki am verabredeten Treffpunkt. Man konnte zwar nicht behaupten, dass ich die Pünktlichkeit in Person war, aber während meine Verspätung meist zwischen fünf und zehn Minuten variierte, musste man bei Kiki das akademische Viertel von Vornherein einkalkulieren und je nach Wetter und Verkehr noch ein paar Minuten dazugeben.
    Ich nippte an meinem Cappuccino und schaute durch eines der großen gotischen Fenster auf den verregneten Römerplatz, beobachtete die Menschen, die im Laufschritt unterwegs waren und die Touristen, die mit verkniffenen Gesichtern und regennassen Haaren für Fotos posierten. Das triste graue Wetter an diesem Mai-Sonntag passte zu meiner Gemütslage. Überhaupt hatte sich dieser Mai bisher eher wie ein April aufgeführt, in seiner extremen Wechselhaftigkeit zwischen hochsommerlichen Temperaturen und Weltuntergangswetter mit Hagelschauern und Starkregen.
    Dann bog Kikis Fahrrad um die Ecke und statt verdrießlich dreinzuschauen wie alle anderen bei diesem Sauwetter, klopfte sie fröhlich gegen die Scheibe und winkte mir zu, ehe sie ihren Fahrradsitz mit einem Überzug wetterfest machte.
    »Du weißt doch, es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung«, erklärte sie im Hereinkommen, hängte ihre Jacke über den dritten Stuhl und umarmte mich, wobei ihre triefnassen Dreadlocks wie undichte Wasserhähne tropften. Kiki wickelte sich routiniert aus ihrem überlangen Selbststrickschal und während sie sich setzte, machte ihre ansteckend fröhliche Miene einem besorgten Ausdruck Platz.
    »Was war los, Ann? Ich habe
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