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In seinem Bann

In seinem Bann

Titel: In seinem Bann
Autoren: Anaïs Goutier
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Art.
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Ich weiß, dass das jetzt hart klingt, aber was soll man von so einem Mann schon anderes erwarten? Typen wie Ian Reed schöpfen ihren immensen wirtschaftlichen Erfolg aus Rücksichtslosigkeit, Kaltschnäuzigkeit und Gewissenlosigkeit. Das sind skrupellose Egomanen, die kennen keine Moral, Ann. Wer ein so obszön großes Privatvermögen von mehreren Milliarden anhäuft, muss bereit sein, über Leichen zu gehen. Ich denke, du solltest versuchen, Ian Reed unter der Rubrik Lebenserfahrung abzuhaken. Kopf hoch, Ann. Er ist es nicht wert.«
    Kiki strich mir durchs Haar und wischte mir mit dem Daumen eine letzte, verirrte Träne von der Wange.

Kapitel 2

    Das mit dem Abhaken war vermutlich ein sehr vernünftiger Rat, doch leider fiel es mir schwer, ihn zu beherzigen.
    Obwohl ich als DiMiDo -Dozentin von Dienstag bis Donnerstag mit Seminaren, Kolloquien, Sitzungen und Sprechstunden reichlich ausgelastet war und mich an den übrigen Tagen in die Forschungsarbeit stürzte, verging nicht ein Tag, an dem ich nicht an ihn dachte und nicht eine Nacht, in der ich nicht von ihm träumte. Dabei änderte sich mein Gemütszustand ständig. Die erträglichsten Phasen waren die, in denen ich schlicht Wut und Zorn auf Ian empfand, der mich so respektlos und unverschämt behandelt hatte. Weit weniger gut zu ertragen waren die Momente, in denen mir schmerzhaft bewusst wurde, wie tief er mich mit seinem Verhalten verletzt, gedemütigt und gekränkt hatte. Aber am unerträglichsten waren die Zeiten, in denen ich mir eingestehen musste, dass ich trotz alledem verliebt in ihn war, dass ich nur aus diesem einen Grund noch immer litt. So sehr ich mir auch einzureden versuchte, dass es allein mein verletzter Stolz war, wusste ich doch tief in meinem Inneren, dass es vor allem schwerer Liebeskummer war, an dem ich litt.

    Ich bemühte mich redlich, Kikis Rat zu befolgen und es gelang mir von Tag zu Tag besser, die Gedanken an Ian Reed zu verdrängen. Am Tag war es leichter, am schwierigsten war es an Abenden, an denen ich wach im Bett lag und noch nicht müde genug war, um sofort einzuschlafen. Dann kreisten meine Gedanken unermüdlich um ihn und das Ergebnis waren wirre, mal romantische und mal albtraumhafte Traumszenarien, die allesamt gemeinsam hatten, dass ich totunglücklich aus ihnen erwachte.
    Also gewöhnte ich mir eine alte Eigenart aus Studentenzeiten wieder an, die ich mir zuvor mühsam abtrainiert hatte. Ich verlegte die Arbeit an meinem Habilitationsvorhaben in die Nachtstunden, las, schrieb und recherchierte bis mir um drei oder halb vier die Augen zufielen und ich in einen tiefen, meist traumlosen Schlaf fiel.
    Geriet ich hingegen tagsüber ins Grübeln und drohte ich, in diese lähmende melancholische Stimmung zu verfallen, dann hielt ich mir wie ein Mantra vor Augen, was für ein übler und gänzlich verkommener Kerl Ian Reed doch war.
    Wie abgestumpft und moralisch verroht musste ein Mann sein, der sein Bett ausschließlich mit Prostituierten teilte, weil er selbst dort nur Menschen um sich ertragen konnte, die sich voll und ganz seinem Willen fügten? Ian Reed war ein Mann, dessen Sucht nach Macht selbst vor dem Bett nicht haltmachte, der Frauen fesseln und dominieren musste, um seine Lust zu befriedigen. Wie armselig musste das Leben eines so krankhaften Egomanen sein, dessen Selbstliebe keinerlei Platz für private Bindungen ließ?
    Ab und zu googelte ich ihn, recherchierte auf einschlägigen kapitalismuskritischen Websites und las die entsprechenden Artikel meiner favorisierten linksgeprägten Zeitungen, um dieses Bild des skrupellosen Hotelmoguls und Immobilien-Tycoons immer wieder aufs Angenehmste bestätigt zu finden.
    Die lobenden Feuilleton-Berichte und Boulevard-Meldungen, die sein caritatives und kulturelles Engagement feierten, ignorierte ich dagegen. Mehr noch, ich unterstellte ihm das Anliegen, auf möglichst bequeme Weise das eigene Gewissen zu beruhigen und sich öffentlichkeitswirksam als Wohltäter und Philanthropen zu inszenieren.
    So glaubte ich, einen recht praktikablen Weg gefunden zu haben, den elenden Grübeleien zu entfliehen und ein gesundes Verhältnis zu Ian Reed zu entwickeln, als eines Morgens der Paketbote bei mir klingelte und mir ein in New Orleans aufgegebenes Päckchen von Ian überreichte. Ich gestehe, dass mein Herz raste, als ich schlaftrunken meine Unterschrift auf das elektronische Pen Pad kritzelte.
    Mein erster, äußerst kindischer und meinem Mantra
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