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057 - Im Banne des Unheimlichen

057 - Im Banne des Unheimlichen

Titel: 057 - Im Banne des Unheimlichen
Autoren: Edgar Wallace
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    Der Sturmwind peitschte den Regen über die kahlen Flächen des alten Brachlandes von Dartmoor. Betty Carew vernahm sein Heulen und Pfeifen trotz des Rasselns und Fauchens des alten Motors, der den steilen Hügel hinaufkeuchte.
    Die Lichter von Tavistock waren schon lange nicht mehr zu sehen. Bis Princetown hatten sie noch drei Meilen zurückzulegen - eine einsame Strecke bei dem tobenden Sturm, und der Regen trieb feine, nadelscharfe Eisteilchen ins Gesicht. Der alte Mann mit dem gelben Gesicht, der am Steuer saß, schwieg. Er hatte seit Tavistock noch keine Silbe gesprochen, und es war vorauszusehen, daß er bis Exeter oder darüber hinaus sein Schweigen unter keinen Umständen freiwillig brechen würde.
    Der alte Wagen arbeitete sich mühsam, gleitend und schleudernd die gewundene Straße empor. Bei jedem heftigen Stoß überkam das Mädchen eine Anwandlung von Seekrankheit.
    Auf dem Kamm angelangt, empfing sie das ganze Ungestüm der Böen, deren Gewalt manchmal den Wagen fast zum Stehen brachte. Der Regen klatschte wütend gegen die Windschutzscheibe. Trotz herabgezogener Hutkrempe peitschte er unbarmherzig das Gesicht des Mädchens, so daß es unerträglich schmerzte.
    »Glaubst du nicht, daß es klüger wäre, nach Tavistock zurückzufahren?«
    Sie hatte schreien müssen, um gehört zu werden.
    »Nein!« kam die Antwort wie ein Pistolenschuß, und sie sagte nichts mehr.
    Dr. Laffin hatte den Wagen aus alten Heeresbeständen billig erworben, und das Fahrzeug hatte schon vor dem Krieg ein ehrwürdiges Alter gehabt. Aber es tat noch immer seinen Dienst und gab seinem Besitzer die Genugtuung, sich zeitgemäßer Sparsamkeit befleißigt zu haben. Der Arzt besaß auch ein kleines Gut am Rande des Moores. Eigentlich war es nicht viel mehr als ein Bauernhof mit kümmerlichem Boden, in dem der Pflug ständig auf Steine stieß. Der Pächter beklagte sich auch regelmäßig, zahlte aber nur sehr unregelmäßig Zins. Ein Stück eigenen Bodens zu besitzen bedeutete jedoch für Dr. Laffin ein so erhebendes Gefühl, daß er alle Mängel seines Gutes übersah.
    Westlich von Princetown flaute der Wind allmählich ab. Der Wagen kam wieder mit normaler Geschwindigkeit voran.
    »Du willst doch nicht etwa heute nacht weiter als bis Exeter fahren?« fragte das Mädchen beunruhigt.
    Es schien ihr gar nicht so unmöglich, daß er es sich in den Kopf gesetzt haben könnte, bei diesem schrecklichen Wetter noch bis London durchzukommen.
    »Ich weiß nicht«, gab er kurz zurück.
    Betty hätte ihm gern etwas Unangenehmes erwidert, hielt sich aber klugerweise zurück. Sie fuhren an Feldern vorbei, die zur Strafanstalt gehörten. Die Scheinwerfer des Wagens beleuchteten für einen Augenblick den häßlichen Torbogen des Gefängnisses, wobei hinter dem Gittertor die Gestalt eines Wachtpostens sichtbar wurde. Warm eingehüllt, auf sein Gewehr gestützt, stand er da. Eine Minute später hatten sie Princetown hinter sich und befanden sich wieder auf dem offenen Moor, über das der Wind noch ziemlich frisch dahinstrich.
    Trotz des Ölzeuges, das Betty anhatte, war sie bis auf die Haut durchnäßt. Es fror und hungerte sie, und zum erstenmal in ihrem Leben sehnte sie sich nach dem düsteren Haus in der Camden Street zurück. Zu ihrem größten Erstaunen begann der Mann am Lenkrad plötzlich zu sprechen.
    »Das ist besser als Theaterspielen!«
    Betty zuckte zusammen und schloß resigniert die Augen.
    Theaterspielen! Wenn nur ihr Engagement bei der Wandertruppe nicht ein so plötzliches Ende gefunden hätte - ausgerechnet in Tavistock und durch einen boshaften Zufall gerade an dem Tag, als Dr. Laffin seinen halbjährlichen Besuch auf seiner ›Besitzung‹ abstattete.
    »Das hier ist lebendige Wirklichkeit ...«
    Laffins Stimme übertönte das Heulen des Windes und das Gerassel des Wagens. Er ließ einen Augenblick das Lenkrad los und hob nachdrücklich bekräftigend die Hände.
    Da leuchtete vor ihnen, mitten auf der Straße, ein kleines rotes Licht auf.
    Der Wagen kam wankend und zitternd zum Stehen, noch bevor sie die Gestalt, die die rote Laterne emporhielt, genau erkennen konnten. Es schien ein Mann in einem langen, enganliegenden, einer Mönchskutte ähnelnden Gewand zu sein. Sein Kopf wurde von einer Kapuze völlig verhüllt, so daß man nur durch kleine Schlitze im Tuch die Augen funkeln sah.
    »Bitte, kann ich mit Ihnen sprechen?« fragte der Vermummte.
    Nun erst sah Betty, daß er einen ebenso unheimlich gekleideten Begleiter neben sich
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