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In seinem Bann

In seinem Bann

Titel: In seinem Bann
Autoren: Anaïs Goutier
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Kapitel 1

    Sometimes you get so lonely
    Sometimes you get nowhere
    I've lived all over the world
    I've left every place

    Please be mine
    (David Bowie)

    Ich bin bereits auf dem Weg nach Tanger.
    Ich danke dir für einen wundervollen Abend, die geistreiche Konversation und eine unvergessliche Nacht,
    Ian

    Es war inzwischen fast zwei Wochen her, dass ich mich zu dem bisher einzigen und wohl auch letzten One-Night-Stand meines Lebens hatte verführen lassen. Ich hatte eine atemberaubende Nacht mit Ian Reed in seinem Luxushotel verbracht, eine wundervolle, kostbare Nacht, in der alles möglich schien. Doch am nächsten Morgen war ich allein gewesen. Ian Reed hatte es nicht für nötig gehalten, mich zu wecken. Auf der Suche nach ihm war ich durch seine gigantische Suite geirrt und zuerst fiel mir gar nicht auf, dass seine wenigen Habseligkeiten verschwunden waren.
    Auf dem runden Esstisch im Konferenzzimmer der Suite hatte er vom Zimmerservice ein opulentes Frühstück aufbauen lassen, in der Mitte ein üppiger Blumenstrauß in den Violett-Tönen meines Kleides, in dem eine Nachricht steckte. Die knappe handschriftliche Notiz, mit einem schwarzen Füllfederhalter schwungvoll in markanter Manier zu Papier gebracht, war das Verletzendste, das mir jemals widerfahren war. Er hatte mir kein einziges persönliches Wort gegönnt.
    Vermutlich war er es gewohnt, dass seine Huren gingen, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt hatten oder sich in den frühen Morgenstunden diskret zurückzogen, bevor er erwachte.
    Auch wenn er mir am Vorabend das Gefühl gegeben hatte, etwas anderes für ihn zu sein, hätte seine Botschaft nicht unmissverständlicher ausfallen können.
    Als ich die Treppen vom vierten Stock aus hinunterlief und dann den Hinterausgang über die gediegene Frühstücksterrasse und durch den Hotelgarten nahm, um nicht die Schmach ertragen zu müssen, noch einmal die Lobby mit ihren aufmerksamen Rezeptionsmitarbeitern zu durchqueren, brannten mir heiße Tränen in den Augen. In diesem Moment waren es noch weder Tränen der Wut noch des Kummers. Es waren Tränen der Scham und der Demütigung. Wie würdelos – sich am Morgen danach aus dem Hotel stehlen zu müssen wie ein Groupie oder ein Flittchen.
    Ich war in meinem Leben niemals das eine oder das andere gewesen und doch hatte es Ian Reed nur eine einzige Nacht gekostet, mich dazu zu degradieren.

    Natürlich klebte hinter dem Scheibenwischer meines Autos ein Strafzettel. Ich hatte ja nicht damit gerechnet, über Nacht zu bleiben.
    Vor meiner Wohnungstür wartete ein weiterer Blumenstrauß auf mich, diesmal ganz ohne Text, dafür noch wuchtiger und prächtiger als der im Hotel. Ich verspürte weder die Kraft noch die Notwendigkeit, mich darüber zu wundern, dass Ian Reed meine Adresse kannte.
    Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, die Blumen direkten Weges in der Biotonne zu versenken, wie es einem in Filmen zuhauf mit derart unliebsamen Präsenten demonstriert wurde. Doch dafür war der Strauß einfach zu schön und ich schlicht zu pragmatisch.
    Außerdem fühlte ich mich kaum in der Lage, noch einmal die Treppe hinunter zu gehen. Ich wollte nur noch die Wohnungstür hinter mir schließen, mich im Bett verkriechen, mir die Decke über den Kopf ziehen und schlafen, tief und fest und traumlos schlafen.
    Filou und Coco strichen mir maunzend um die Beine, während ich mir im Flur die hohen Schuhe von den Füßen streifte und wie in Trance folgte ich ihnen in die Küche, um ihre Näpfe zu füllen.
    Ich fühlte mich so unendlich matt, als ich mein Lieblingskleid über den weißen Panton-Chair im Bad legte. Ob ich es wohl in Zukunft noch so gerne tragen würde? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich würde die damit verbundene schöne Erinnerung an New York verblassen und die Verknüpfung mit dem bösen Erwachen nach einer wundervollen Nacht an ihre Stelle treten. Zärtlich wie zum Abschied strich ich über die Glasperlen am Saum, ehe ich fröstelnd in meine Duschwanne stieg. Und mit dem heißen Wasserstrahl kamen auch die bislang tapfer zurückgedrängten Tränen. Ich stand unter der Dusche und heulte hemmungslos wie ein Teenager.
    Noch nie hatte mich ein Mann ernsthaft zum Weinen gebracht. Natürlich kannte ich das Gefühl von Liebeskummer und wenn eine Beziehung zu Ende ging, gehörten auch Tränen dazu. Aber eigentlich war beide Male ich es gewesen, die den Schritt zur Trennung vollzogen hatte, in einer Phase, in der ich mich emotional schon weit genug von dem
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