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In seinem Bann

In seinem Bann

Titel: In seinem Bann
Autoren: Anaïs Goutier
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Orientalisten.«
    Ich klickte in meiner Präsentation weiter und zeigte Bildbeispiele von Jean-Léon Gérôme und William Allan, bei denen auffiel, dass es sich immer um eine schöne weiße Sklavin handelte, die sich scheu und gänzlich unbekleidet vor einer lüsternen Gruppe orientalischer Männer präsentieren musste.
    »Um die Jahrhundertwende wird dann der Einfluss der Psychoanalyse durch Sigmund Freud und C. G. Jung spürbar. Der moralischen Unterdrückung der Sexualität im viktorianischen Zeitalter setzen Bohemiens, Künstler und Literaten ein gesteigertes Interesse an der Sexualität entgegen. Die französischen Symbolisten und die englischen Präraffaeliten prägen dabei das Frauenbild der Femme fatale, eines gefährlichen, erotischen Wesens, das vom Mann gebändigt werden muss, will er nicht in sein Verderben gezogen werden.«
    Meine Powerpoint-Präsentation zeigte jetzt ein Gemälde aus Edward Burne-Jones Perseus und Andromeda -Zyklus, dessen sinnliche Andromeda mit ihrem wallenden roten Haar für die Malerei der Präraffaeliten nicht typischer hätte ausfallen können.
    »In den 1920er Jahren schließlich entwickelt sich in den großstädtischen Künstler- und Intellektuellenkreisen ein sehr experimenteller und spielerischer Umgang mit Sexualität. Geschlechtergrenzen verwischen, weibliche Homosexualität wird salonfähig und man interessiert sich für abseitige und verruchte Spielarten der Erotik. Es entstehen unzählige, mehr oder weniger künstlerisch wertvolle Fotografien, die erotisches Spanking oder andere sadomasochistische Praktiken zum Gegenstand haben. Diese Themen werden in den Folgejahren auch von den Surrealisten aufgegriffen, deren erklärte Ziele der bewusst kalkulierte Skandal und die Demonstration absoluter künstlerischer und sexueller Freiheit sind.«
    Den Surrealismus-Abschnitt meines Vortrages eröffnete ich mit zwei Fotografien von Man Ray: der unter einer Militärdecke verborgenen und mit einem groben Seil verschnürten Nähmaschine mit dem Titel The Enigma of Isidore Ducasse und mit der Venus restaurée , einem ebenso verschnürten weiblichen Skulpturentorso.
    Und dann verlor ich den Faden.
    Die Tür zum Vortragsraum hatte sich fast geräuschlos geöffnet und der Mann, der mir von dort hinten aus mit einem feinen Lächeln auf den Lippen zunickte, um sich dann unauffällig einen Platz in einer der hintersten Reihen zu suchen, war Ian Reed.
    Stockend fuhr ich fort und sprach über das Thema der Verhüllung, die bekanntlich die Fantasie anregt und das Verlangen steigert und über das Motiv der Bändigung, also des Wehrlos- und Gefügigmachens, verbunden mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der möglichen bevorstehenden Folter.
    Doch eigentlich waren meine Gedanken nur bei ihm. Was um alles in der Welt hatte er hier zu suchen? Sicher, es handelte sich um einen öffentlichen Vortrag und die Termine und Themen dieser Vorlesungsreihe wurden sogar ab und an in der Zeitung angekündigt. Aber dennoch wäre es mir nie in den Sinn gekommen, ausgerechnet hier und heute mit seinem Erscheinen zu rechnen.
    Hatte ich meinen Vortrag bislang vollkommen frei gehalten und mein Skript nur vorsichtshalber in erreichbarer Entfernung auf dem Tisch deponiert, musste ich es jetzt zur Hand nehmen. Ohne mir selbst wirklich zuzuhören spulte ich wie ferngesteuert meinen Stoff ab.
    Ich referierte über das Interesse der Surrealisten an de Sade, den sie in seinem libertinen Freidenkertum zu einem der Urväter ihrer Bewegung erklärten. Ich zeigte die von Fetisch- und Bondage-Ästhetik geprägten Fotos der Monsieur Seabrook -Serie und Hans Bellmers Fesselbilder seiner Lebensgefährtin Unica Zürn, in denen der weibliche Körper brutal eingeschnürt und zu einer deformierten, amorphen Körpermasse verfremdet wird.
    »Zu beobachten ist hier die Fetischisierung bis hin zur Dekonstruktion des weiblichen Körpers, der durch die Hand des Künstlers auf seine Fleischlichkeit oder wie bei Man Rays Venus auf seine Geschlechtlichkeit reduziert und fragmentiert und damit zum Objekt von erotischen Unterwerfungs-, Macht- und Kontrollfantasien degradiert wird.«
    Ich zeigte jetzt die Gemälde Justine und Dolmancé von Clovis Trouille, die sich nicht nur im Titel auf den Marquis de Sade bezogen. Die farbenfrohen, zwischen Surrealismus und früher Pop Art changierenden Bilder waren prall gefüllt mit dem ebenso charakteristischen wie klischeebeladenen Motiv-Vokabular des Sadomasochismus; verführerisch schöne nackte Frauen
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