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Elvira, Rubina und Sabine

Elvira, Rubina und Sabine

Titel: Elvira, Rubina und Sabine
Autoren: Regina Noessler
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1
     
    Im Großraumwagen des Intercitys Köln – Berlin grübelte Elvira, die arme Elvira, über gutes und schlechtes Küssen nach und überhörte die Frage nach zugestiegenen Fahrgästen.
     
    Allzu zarte Küsse, bei denen gar nichts zu spüren war, keine Lippen und keine Zunge, hinweghuschende Küsse, die weder richtig feucht, noch wirklich vorhanden waren, die mochte sie nicht.
     
    Elvira beruhigte ihr angeschlagenes Ego: So schlecht schneide ich doch gar nicht ab! Erleichtert atmete sie auf und stellte ihren Sitz in Schräglage. Ihr Ego hatte Beruhigtwerden auch bitter nötig.
     
    All die armen Teufel, die ziellos mit ihren schweren Koffern und Taschen an ihr vorbeiächzten, weil ihnen die Platzreservierung fehlte. Elvira empfand keinerlei Mitleid, denn das brauchte sie ganz allein für sich selbst und für niemanden sonst, sie konnte davon kein auch noch so kleines Stückchen abgeben. Elvira war stolze Besitzerin einer Reservierung. Wenigstens die hatte sie. Küsse, die sich wie Baggerschaufeln vorwärtsgruben und hineinschaufelten, mochte sie auch nicht.
     
    Und noch während sie auf ihrem sicheren Platz, der nur ihr gehörte, hinwegglitt, hinein in einen tiefen Zungenkuss, der unwillkürlich zu Stöhnen verleitete, bei einem solchen Kuss war Aufstöhnen einfach unumgänglich während sie die Dauer dieses Kusses dehnte und das Lecken, Saugen und Eindringen tatsächlich zu spüren vermeinte, während sie in Gedanken so unheimlich gut küsste, während ihre Zunge über fremde Zahnreihen strich und glatte Gaumen ertastete, stellte die Schaffnerin die Frage nach zugestiegenen Fahrgästen erneut, diesmal direkt neben ihr.
     
    Elvira schreckte aus der bequemen Schräglage hoch und griff nach ihrer Tasche, eine von diesen großen, unübersichtlichen, und beim Herumwühlen stieß sie zunächst auf ihren Reiseproviant:          Geleebananen und Marzipankartoffeln. Immer, wenn etwas von ihr verlangt wurde, reagierte Elvira sofort panisch, und gar nichts klappte mehr; zu ihrem Leidwesen war das auch beim Sex so. Aus Versehen zerdrückte sie eine Geleebanane, die Marzipankartoffeln waren auch ganz schön klebrig, und dann, als sie in der großen, unaufgeräumten Tasche endlich weit unten die Fahrkarte entdeckte, beförderte sie mit ihren Geleefingern dieses ganz spezielle Foto, das nur für ihre Augen bestimmt war, gleich versehentlich mit an die Öffentlichkeit.
     
    Das Foto landete neben den blaubehosten Beinen der Schaffnerin auf dem Boden. Es zeigte Silke Hackenbergs Hintern.
     
    Warum bin ich nicht wie die anderen? Andere Leute verreisen mit Gesichtern! Mit Fotofix-Porträts ihrer Lieben! Und ich? Ich verreise mit einem Hintern!
     
    Elvira schloss daraus, dass sie zwanghaft und pathologisch an Sex denken musste, auch jetzt, wo sie an diesem schlimmen Liebeskummer wegen Silke Hackenberg litt, oder vielleicht gerade jetzt.
     
    Aber obwohl sie Silke die Pest an den Hals wünschte, schalteten sich ihre Beute-Instinkte wieder ein, und sie wollte Silkes Hintern vor fremdem Zugriff retten.
     
    Die Schaffnerin indes war schneller. Viel schneller. Während Elvira sich noch in der betrüblichen Erkenntnis suhlte, dass ihre Geliebte Silke ein Schwein sei, ein richtiges Schwein, hatte sie sich längst gebückt und das Foto aufgehoben.
     
    Elvira hatte inzwischen ordnungsgemäß ihre Fahrkarte nachgereicht, die jedoch von der Schaffnerin kaum beachtet wurde. Viel größeres Interesse zeigte sie für das Foto.
     
    Es war ja nicht so, dass nur Silkes Hintern auf dem Foto abgebildet gewesen wäre – Elvira kannte das Foto wie auch die Realität genau. Gleich würde die Schaffnerin alle Reisenden um Aufmerksamkeit bitten: Sehen Sie mal her, was für Fotos diese Frau hier in der Tasche hat, und sie würde es herumzeigen, und alle würden erst den Hintern und dann Elvira betrachten. Irgendjemand würde sagen: Schweinerei! Was denken Sie sich eigentlich dabei? Sogar die ohne Platzkarte würden sich plötzlich wie etwas Besseres fühlen und nur darauf warten, endlich Elviras Reisetasche herunterreißen zu können. Nach einiger Zeit würde der Zugführer über den Lautsprecher mitteilen, dass in Wagen Nr. 253 eine Frau sitze, so eine Perverse, in deren Tasche der Hintern einer anderen Frau aufgefunden worden sei, allerlei getuschelte, aber nur schlecht verborgene Iiieehs würden folgen, guck mal die da. Vielleicht würde Elvira sogar ihren Platz verlieren.
     
    Nein, nicht nur der Hintern war zu sehen, sondern auch
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