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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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schnell. Gib's mir.»
    Dann später: «Ich werde nicht sterben, ich werde mich nicht sterben lassen.»
    «Natürlich wirst du nicht.»
    «Bleibst du bei mir?»
    «Nicht um zuzusehen.»
    «Nein, nur um da zu sein.»
    «Natürlich. Ich werde die ganze Zeit über da sein.»
    «Du bist so gut zu mir. So, gib's mir. Gib mir mehr. Es wirkt nicht.»
    Ich drehte die Scheibe auf drei und auf vier. Ich wünschte, der Doktor würde zurückkommen. Ich hatte Angst vor den Zahlen über zwei.
    Endlich kam ein anderer Doktor mit z wei Schwestern herein und man hob Catherine auf eine mit Rädern versehene Bahre, und wir bewegten uns den Gang hinunter. Die Bahre bewegte sich sehr schnell den Gang entlang und in den Lift, wo sich alle an die Wand drücken mußten, um Platz zu machen; dann hinauf, dann durch eine offene Tür und aus dem Lift heraus und den Gang hinunter auf Gummirädern in den Operationssaal. Ich erkannte den Doktor mit seiner Kappe und Maske nicht. Außer ihm waren noch ein Doktor und ein paar Schwestern da.
    «Man muß mir was geben», sagte Catherine. «Man muß mir was geben. Ach, bitte, Doktor, geben Sie mir genug, damit es hilft.»
    Einer der Ärzte legte eine Maske über ihr Gesicht, und ich sah durch die Tür und sah das kleine, helle Amphitheater des Operationssaales.
    «Sie können durch die andere Tür hineingehen und sich dort hinsetzen», sagte eine Schwester zu mir. Hinter einer Schranke waren Bänke, die auf den weißen Tisch und die Lichter herabsahen. Ich sah auf Catherine. Die Maske war über ihrem Gesicht, und sie war ruhig. Man rollte die Bahre vorwärts. Ich wandte mich ab und ging den Gang zurück. Zwei Schwestern eilten dem Eingang der Galerie zu.
    «Es ist ein Kaiserschnitt», sagte die eine. «Sie machen einen Kaiserschnitt.»
    Die andere lachte. «Wir kommen gerade zur Zeit. Was wir für Glück haben!» Sie gingen durch die Tür, die auf die Galerie führte.
    Eine dritte Schwester kam vorbei. Sie hatte es auch eilig.
    «Gehen Sie nur da hinein. Gehen Sie nur», sagte sie.
    «Ich bleibe draußen.»
    Sie eilte hinein. Ich ging auf dem Korridor auf und ab. Ich hatte Angst, hineinzugehen. Ich sah aus dem Fenster. Es war dunkel, aber im Licht des Fensters sah ich, daß es regnete. Ich ging in ein Zimmer am Ende des Korridors und besah die Etiketten auf den Flaschen in einem Glasschrank. Dann kam ich heraus und stand in dem leeren Gang und betrachtete die Tür zum Operationssaal. Ein Doktor kam, von einer Schwester gefolgt, heraus. Er hielt etwas in den Händen, das wie ein frisch gehäutetes Kaninchen aussah, und eilte damit über den Korridor und durch eine andere Tür. Ich ging zu der Tür, hinter der er verschwunden war, und fand beide in dem Zimmer um ein neugeborenes Kind bemüht. Der Doktor hielt es hoch, um es mir zu zeigen. Er hielt es an den Hacken und schlug es.
    «Ist er in Ordnung?»
    «Er ist wunderbar. Der wiegt sicher fünf Kilo.»
    Ich hatte kein Gefühl für ihn. Er schien nichts mit mir zu tun zu haben. Ich fühlte kein Gefühl von Vaterschaft.
    «Sind Sie nicht stolz auf Ihren Sohn?» fragte die Schwester. Sie wuschen ihn und wickelten ihn in irgendwas. Ich sah das kleine dunkle Gesicht und die dunkle Hand, aber ich sah weder, daß er sich bewegte, noch hörte ich, daß er weinte. Der Doktor machte wieder etwas an ihm. Er sah beunruhigt aus.
    «Nein», sagte ich. «Er hat beinahe seine Mutter getötet.»
    «Dafür kann der kleine Liebling nichts. Wollten Sie denn keinen Jungen?»
    «Nein», sagte ich. Der Doktor war mit ihm beschäftigt. Er hielt ihn an den Füßen hoch und schlug ihn. Ich wartete nicht weiter, um zuzusehen. Ich ging auf den Gang hinaus. Jetzt konnte ich hineingehen und zusehen. Ich ging durch die Tür und ein kleines Stück die Galerie entlang. Die Schwestern, die an der Schranke saßen, winkten mir zu, ich solle zu ihnen hinunterkommen. Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte von meinem Platz aus genug sehen.
    Ich glaubte, Catherine sei tot. Sie sah tot aus. Ihr Gesicht war grau, der Teil, den ich sehen konnte. Tief unten unter dem Licht nähte der Doktor die große lange, zangengeweitete dickrandige Wunde. Ein zweiter Doktor in einer Maske gab das Betäubungsmittel. Zwei Schwestern in Masken reichten Dinge. Es sah aus wie eine Zeichnung von der Inquisition. Ich wußte, als ich zusah, daß ich das Ganze hätte mitansehen können, aber ich war froh, daß ich's nicht getan hatte. Ich glaube nicht, daß ich beim Schneiden hätte zusehen können, aber ich sah zu, wie
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