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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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Gelegenheit, den Messias zu spielen und den Balken aus dem Feuer zu heben und ihn dorthin zu werfen, wo die Ameisen den Boden erreichen konnten. Aber ich tat nichts dergleichen, sondern goß eine Blechkanne mit Wasser auf den Balken, um die Tasse leer zu haben, um Whiskey hineinzutun, bevor ich Wasser dazu goß. Ich glaube, daß die Tasse Wasser auf dem brennenden Balken nun die Ameisen dämpfte.
    So saß ich jetzt auf dem Gang und wartete auf Bescheid, wie es Catherine ging. Die Schwester kam nicht heraus, darum ging ich nach einer Weile an die Tür und öffnete sie sehr sanft und sah hinein. Ich konnte zuerst nichts sehen, weil es auf dem Gang strahlend hell und im Zimmer dunkel war. Dann sah ich die Schwester neben dem Bett sitzen und Catherines Kopf auf einem Kissen und sie ganz flach unter dem Laken. Die Schwester legte ihren Finger an den Mund, stand dann auf und kam an die Tür.
    «Wie geht es ihr?» fragte ich.
    «Ganz gut», sagte die Schwester. «Sie sollten gehen und zu Abend essen und dann, wenn Sie wollen, wiederkommen.»
    Ich ging den Gang entlang und dann die Treppe hinunter und aus der Tür des Krankenhauses und die dunkle Straße im Regen bis zum Café. Innen war es hell erleuchtet, und es saßen viele Leute an den Tischen. Ich sah keinen Platz, um mich hinzusetzen, und ein Kellner kam auf mich zu und nahm meinen nassen Mantel und Hut und zeigte mir einen Platz an einem Tisch gegenüber von einem älteren Mann, der Bier trank und die Abendzeitung las. Ich setzte mich und fragte den Kellner nach dem Tagesgericht.
    «Kalbsgulasch, aber es ist alle.»
    «Was kann ich zu essen bekommen?»
    «Schinken und Setzeier, Eier mit Käse oder Choucroute.»
    «Choucroute habe ich heute mittag gegessen.»
    «Das stimmt», sagte er. «Das stimmt. Sie haben heute mittag Choucroute gegessen.» Er war ein Mann mittleren Alters mit einer kahlen Stelle auf dem Kopf. Das Haar hatte er darübergelegt. Er hatte ein freundliches Gesicht.
    «Was wünschen Sie? Schinken und Eier oder Eier mit Käse?»
    «Schinken und Setzeier», sagte ich, «und Bier.»
    «Ein kleines Helles?»
    «Ja», sagte ich.
    «Ich erinnere mich daran», sagte er. «Heute mittag haben Sie ein kleines Helles bestellt.»
    Ich aß den Schinken und die Eier und trank das Bier. Schinken und Eier waren in einer runden Schüssel, der Schinken zuunterst, die Eier drüber. Es war sehr heiß, und bei dem ersten Mundvoll mußte ich einen Schluck Bier trinken, um meinen Mund zu kühlen. Ich war hungrig und bestellte bei dem Kellner noch eine Portion. Ich trank mehrere Glas Bier. Ich dachte an nichts, sondern las die Zeitung von dem Mann mir gegenüber. Es war über den Durchbruch an der englischen Front. Als er bemerkte, daß ich seine Zeitung von hinten las, faltete er die Zeitung zusammen. Ich wollte erst den Kellner um eine Zeitung bitten, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Im Café war es heiß, und die Luft war schlecht. Viele von den Leuten an den Tischen kannten sich untereinander. An einigen Tischen wurde gespielt. Die Kellner waren beschäftigt, Getränke von der Theke an die Tische zu bringen. Zwei Männer kamen herein und konnten keinen Platz zum Sitzen finden. Sie standen dem Tisch, an dem ich saß, gegenüber. Ich bestellte noch ein Bier. Ich war noch nicht zum Aufbruch bereit. Es war zu früh, um ins Krankenhaus zurückzugehen. Ich versuchte, nicht zu denken und vollkommen ruhig zu sein. Die Männer standen umher, aber da niemand aufbrach, gingen sie hinaus. Ich trank noch ein Bier. Vor mir auf dem Tisch stapelte sich jetzt ein ganzer Berg von Untersätzen; der Mann mir gegenüber hatte seine Brille abgenommen, steckte sie in ein Etui, faltete die Zeitung zusammen, steckte sie in die Tasche, hielt sein Schnapsglas in der Hand und blickte in den Raum. Plötzlich wußte ich, daß ich zurück mußte. Ich rief den Kellner, bezahlte die Rechnung, zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus. Ich ging durch den Regen zum Krankenhaus. Oben begegnete ich der Schwester auf dem Gang. «Ich hatte schon im Hotel angerufen», sagte sie. Etwas in mir sank.
    «Was ist passiert?»
    «Mrs. Henry hat eine Blutung gehabt.» «Kann ich hineingehen?» «Nein, noch nicht. Der Doktor ist bei ihr.» «Ist es gefährlich?»
    «Es ist sehr gefährlich.» Die Schwester ging ins Zimmer und schloß die Tür. Ich saß draußen auf dem Gang. Alles in mir war weg. Ich dachte nicht. Ich konnte nicht denken. Ich wußte, daß sie sterben würde, und ich betete,
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