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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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die Wunde sich mit hochwölbendem Kamm durch schnelle, kunstfertig aussehende Stiche schloß, Stiche wie die eines Schusters, und ich war froh darüber. Als die Wunde geschlossen war, ging ich hinaus auf den Gang und ging wieder auf und ab. Nach einer Weile kam der Doktor heraus.
    «Wie geht's ihr?»
    «Es geht ganz gut. Haben Sie zugesehen?»
    Er sah müde aus.
    «Ich habe gesehen, wie Sie es zunähten. Der Einschnitt sah sehr lang aus.»
    «Fanden Sie?»
    «Ja. Wird die Narbe wieder flach werden?»
    «O ja.»
    Nach einiger Zeit brachten sie die mit Rädern versehene Bahre heraus und rollten sie sehr schnell den Gang entlang in den Fahrstuhl. Ich ging nebenher. Catherine stöhnte. Unten legte man sie in ihr Bett in ihrem Zimmer. Ich saß auf einem Stuhl am Fußende des Bettes. Eine Schwester war im Zimmer. Ich stand auf und stand neben dem Bett. Im Zimmer war es dunkel. Catherine streckte ihre Hand aus. «Tag, Liebling», sagte sie. Ihre Stimme war sehr schwach und müde.
    «Tag, du Süße.»
    «Was für ein Baby war es?»
    «Pst! Nicht sprechen», sagte die Schwester.
    «Ein Junge. Er ist groß und dick und dunkel.»
    «Ist er in Ordnung?»
    «Ja», sagte ich. «Er ist großartig.»
    Ich sah, wie die Schwester mich seltsam anblickte.
    «Ich bin schrecklich müde», sagte Catherine. «Und es tut so verdammt weh. Geht's dir gut, Liebling?»
    «Mir geht's tadellos. Sprich nicht.»
    «Du warst wunderbar zu mir. Ach, Liebling, es tut so verdammt weh. Wie sieht er aus?»
    «Er sieht wie ein gehäutetes Kaninchen aus mit einem verrunzelten Altmännergesicht.»
    «Sie müssen hinausgehen», sagte die Schwester. «Madame Henry darf nicht sprechen.»
    «Ich bin vor der Tür.»
    «Geh was essen.»
    «Nein. Ich bin vor der Tür.» Ich küßte Catherine. Sie war sehr grau und schwach und müde.
    «Darf ich Sie einen Augenblick sprechen?» fragte ich die Schwester. Sie kam mit mir auf den Gang. Ich ging ein Stückchen den Gang hinauf.
    «Was ist denn mit dem Baby los?» fragte ich.
    «Wissen Sie es nicht?»
    «Nein.»
    «Er lebte nicht.»
    «Er war tot?»
    «Man konnte ihn nicht zum Atmen bringen. Die Nabelschnur war um seinen Hals verheddert oder so ähnlich.»
    «Also ist er tot.»
    «Ja. Es ist eine Schande. Er war so ein prächtiger großer Junge. Ich dachte, Sie wüßten es.»
    «Nein», sagte ich. «Sie gehen besser wieder zu Madame.»
    Ich setzte mich auf einen Stuhl vor einem Tisch, über dem Schwestern-Berichte in Rahmen aufgehängt waren, und sah aus dem Fenster. Ich konnte nichts als die Dunkelheit sehen und den Regen, der über das Licht, das aus dem Fenster schien, fiel. Also das war es. Das Baby war tot. Darum hatte der Doktor so müde ausgesehen. Aber warum hatte man in dem Zimmer so viel mit ihm angestellt? Sie hatten wahrscheinlich angenommen, daß es wieder zu sich kommen und atmen würde. Ich war religionslos, aber ich wußte, man hätte ihn taufen müssen. Aber wenn er vielleicht überhaupt nicht geatmet hatte? Er hatte nicht. Er hatte nie gelebt. Außer in Catherine. Ich hatte ihn oft genug in ihr stoßen gefühlt. Aber seit einer Woche nicht mehr. Vielleicht war er die ganze Zeit erwürgt gewesen. Armes kleines Kerlchen. Ich wünschte, ich wäre so erwürgt worden. Nein, das wünschte ich mir nicht. Und doch, dann hätte man nicht all das Sterben durchzumachen. Jetzt würde Catherine sterben. Das tat man eben. Man starb. Man wußte nicht, worum es sich handelte. Man hatte nicht Zeit, es zu erfahren. Man stieß einen herein und sagte einem die Regeln, und beim erstenmal, wenn man von der Grundlinie fort war, töteten sie einen. Oder sie töteten einen auch für nichts und wieder nichts, wie Aymo. Oder gaben einem die Syphilis wie Rina ldi. Aber zum Schluß töteten sie einen. Darauf konnte man rechnen. Nur in Reichweite bleiben, und sie würden einen schon töten.
    Einmal, im Lager, legte ich einen Balken ins Feuer, der voller Ameisen war. Als er zu brennen begann, schwärmten die Ameisen aus und liefen zuerst nach der Mitte, wo das Feuer war; dann wandten sie sich zurück und rannten dem Ende zu. Als genug am Ende waren, fielen sie ab und ins Feuer. Manche kamen heraus mit verbrannten, abgeplatteten Körpern und liefen los und wußten nicht, wohin sie liefen. Aber die meisten liefen ins Feuer und dann zurück zu den Enden und schwärmten auf dem kühlen Ende und fielen schließlich hinunter ins Feuer. Ich erinnere mich, daß ich damals dachte, daß es das Ende der Welt sei und eine hervorragende
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