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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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Konto sicherstellen. Wie Sie mich gebeten haben.«
    »Ich habe nicht darum gebeten. Nicht Sie.«
    »Nun, irgendjemand hat uns kontaktiert. Und Sie sollten demjenigen dankbar sein. Und mir. Pedro hier arbeitet im Konsulat, aber nebenbei noch als freier Journalist und Fotograf für Reforma . Er wird einen kleinen Artikel für uns schreiben. Stimmt’s, Pedro?«
    »Por supuesto, licenciado.«
    Araceli spähte in den Umschlag. »Das ist ja ein Scheck.«
    »Ein Barscheck. Sicherer als Bargeld. Und, wenn ich das so sagen darf, über einen erstaunlich hohen Betrag. Gut zu sehen, dass eine unserer paisanas sich so viel erarbeitet hat. Er ist auf den Namen auf Ihrem Wahlausweis ausgestellt. Und sollten Sie den verloren haben, ist hier ein neuer, den ich vom Distrito Federal habe ausfertigen und herschicken lassen. Zusammen mit dem Pass, den Sie sich, wie ich glaube, noch gar nicht hatten ausstellen lassen.«
    Sie untersuchte ihre neuen Dokumente mit den Siegeln und Hologrammquadraten und erinnerte sich, welchen Kreuzweg aus Schlangen, Formularen, Wartesälen und streitsüchtigen Beamten man auf sich nehmen musste, um so etwas in Mexiko City zu kriegen. Jetzt bekam Araceli die Papiere, ohne überhaupt darum gebeten zu haben: Für einen Bürokraten war das wahrscheinlich so etwas wie ein Weihnachtsgeschenk.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben, würden wir gern ein oder zwei Fotos machen, um die Geschichte zu bebildern.«
    »Sie wollen ein Foto machen, wie Sie mir mein eigenes Geld überreichen?«
    »Wird nur eine Sekunde dauern. Und es würde uns hier im Konsulat eine ungeheure Hilfe sein.«
    Araceli vermochte nicht zu sagen, ob dieser Konsul ein guter oder ein schlechter Mensch war. Er war eindeutig von der Gnade der bürokratischen Eliten in Mexiko City abhängig, eine Instanz, die Beamte, Professoren, ja sogar Maler und Dichter in unterwürfige Schwätzer verwandelte. Alldem war Araceli entronnen, und sie fand, sie müsste dem Konsul sagen, er solle sich zum Teufel scheren und sie in Ruhe lassen, denn was hatte die Regierung schließlich je für sie getan? Sie haben mir gesagt, ich könnte Zeichenunterricht nehmen, die Professoren würden mir beibringen, wie man mit Ölfarbe umgeht, aber das war bloß ein Trick, denn man kriegt keine Pinsel und keine Leinwand, auch kein Atelier und auch nicht die Zeit, das zu werden, was man sich erträumt. Stattdessen stellt unsere Regierung uns die Straßen für unsere Flucht nach Norden zur Verfügung, und sie organisiert die Polizisten, die sich in den Zähnen stochern und uns abschätzig mustern, ob wir wohl Schmiergeld zahlen können. Die Regierung gibt uns Schulbücher, in denen sich Karikaturen von Benito Juarez finden und ein kurzer Absatz über die Landreform und die Verfassung von 1917.
    Araceli wollte wütend werden, doch am Ende fühlte sie eher Mitleid, und so drehte sie sich um und posierte, ein Fuß nach vorn, das Bein durchgedrückt, wie die Teilnehmerin eines Schönheitswettbewerbs, denn letztlich war es doch alles ein Witz, und sollten die Polizei oder der Grenzschutz sie noch einmal schnappen, könnte sie die Hilfe dieses Bürokraten womöglich gebrauchen. Klick. Klick-klick.
    »¡Gracias, paisana!«
    Er reichte ihr seine Visitenkarte, sie steckte sie mit einem gemurmelten »Gracias« ein und schlich sich davon. Dieses in Mexiko City gedruckte Papierrechteck war ein schwacher Schutz gegen die Grenzpolizei. Die können mich jeden Augenblick packen und einsperren, weil die Augenbrauen im Fernsehen und die kreischende Frau es fordern.
    Araceli fand Felipe schlafend auf dem Fahrersitz, die Baseballcap über die Augen gezogen, und der wettergegerbte rote Pick-up konnte seine Körpergröße kaum aufnehmen. Beim Ausatmen drang ein feuchtes Schnarren über seine Lippen, doch selbst in diesem wenig vorteilhaften Zustand fand sie ihn noch attraktiv: vor allem weil sie seine noch ganz unschuldige Hingabe spürte. Er würde den ganzen Tag auf sie warten, ohne zu essen, wenn er musste. Schließlich weckte sie ihn.
    »Du bist schon wieder da«, sagte er erschrocken.
    »Ganamos« , sagte sie.
    »Hast du gewonnen?«
    »Ich bin frei. Se acabó todo. «
    »¿Estas libre?«
    »Ja, nur dass ich jetzt flüchten muss.«
    »Klar.«
    »Wie viel Benzin hast du im Tank? Ich muss nämlich richtig weit weg.«
    Felipe steuerte seinen Pick-up so aggressiv durch die Straßen von Laguna Niguel, wie sie ihn bisher noch nie hatte fahren sehen. Er ließ die Reifen in einigen Kurven quietschen, beschleunigte
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