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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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werden?«
    »Ja.«
    »Und sie hat, als sie ging, die Kinder bei Ihnen gelassen?«
    »Ja. Sie hatte im Fernsehen gesehen, dass die Eltern wieder zu Hause waren. Die Kinder waren nicht mehr auf sie angewiesen.«
    »Und Sie haben sie bis zum Eintreffen der Polizei betreut?«
    »Ja.«
    »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«
    Arnold Chang hatte ebenfalls keine weiteren Fragen. Der Staatsanwalt wollte den Saal anscheinend ebenso schnell wieder verlassen wie Araceli.
    »Die Verteidigung hat keine weiteren Zeugen, Euer Ehren«, sagte Ruthy.
    »Noch irgendwelche Anträge?«, fragte der Richter.
    »Ich beantrage die Einstellung des Verfahrens aufgrund mangelnder Beweise«, sagte Ruthy. »Ich möchte mein Plädoyer abgeben, Euer Ehren.«
    »Bitte sehr.«
    Araceli verfolgte aufmerksam, wie Ruthy sich erneut erhob und zu einer temperamentvollen Ansprache ansetzte. Nur gelegentlich warf sie dem Staatsanwalt einen Seitenblick zu. »Es scheint mir ein Missbrauch staatsanwaltlicher Befugnisse, wenn gegen die einzige Erwachsene des Haushaltes, die sich verantwortungsbewusst verhalten hat, Anklage erhoben wird«, sagte Ruthy. Während sie sprach, legte sie sich eine Hand an den Bauch. Als sie beschrieb, wie Araceli im Interesse der Kinder erst den Großvater gesucht und schließlich im »geordneten Heim einer allseits geachteten Familie« in Huntington Park Zuflucht gefunden hatte, stützte sie sich auf den Tisch. »Ganz offensichtlich«, schloss sie, »haben wir es hier mit einer verantwortungsvollen Person zu tun, die ihre Aufgabe, die Kinder zu betreuen, sehr ernst genommen hat.« Damit ließ sie sich wieder auf ihren Platz sinken. Alle Männer im Saal waren erleichtert, hatten sie doch befürchtet, Ruthys emotionaler Vortrag könnte vorzeitig die Wehen auslösen.
    »Herr Staatsanwalt?«, sagte der Richter.
    Arnold Chang stand auf und warf mit denselben juristischen Fachbegriffen um sich wie seine Widersacherin, nur dass er dabei leicht verächtlich klang, so als schlage er Tennisbälle zurück. »Die Beweislage untermauert den Vorwurf der Kindswohlgefährdung«, sagte er. Araceli wurde nervös, denn obgleich sie seiner Rede nicht ganz folgen konnte, las sie die Bedeutung der Worte von seiner gerunzelten Stirn ab. Außerdem zeigte er immer wieder in ihre Richtung. »Der Tatbestand muss sich nicht zwangsläufig aus einer konkreten physischen Bedrohung ergeben, er lässt sich in diesem Fall aus der emotionalen und psychischen Belastung der Opfer ableiten. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist mit der aufwühlenden Fahrt, welche die Beschuldigte mit den beiden Minderjährigen in eine Gegend unternommen hat, in der die körperliche Unversehrtheit der Schutzbefohlenen aufgrund des mangelhaften Urteilsvermögens der Beschuldigten permanent bedroht war, der Tatbestand nach den vorliegenden Kriterien erfüllt.«
    Als der Staatsanwalt nach dem Plädoyer wieder zu seinem Platz zurückgekehrt war, lehnte sich der Richter auf seinem gepolsterten Sessel zurück und sagte: »Nun denn.« Araceli begriff, dass es an ihm war, über die Richtung des Wegs zu entscheiden, den sie nun durch die verputzten und vertäfelten Korridore dieses Gebäudes gehen würde. Er rieb sich energisch mit beiden Händen über seine Glatze, was nach einem ungewöhnlichen juristischen Ritual aussah, und warf dann einen Blick zur Wanduhr. Der Minutenzeiger schob sich unaufhaltsam voran, erreichte die Sechs und machte sich daran, aufwärts in Richtung der Zwölf zu klettern. Araceli fragte sich, ob der Richter irgendwelche geheimen Botschaften vom Ziffernblatt ablesen konnte. Schließlich wandte er sich an die Anwälte.
    »Ms Bacalan, ich gebe Ihrem Antrag statt.«
    Auf diese knappe Aussage folgte ein längeres Schweigen, das Araceli nicht wirklich genießen konnte, da sie das Wort »Antrag« in diesem Zusammenhang nicht einordnen konnte. Antrag. Tragen. Etwas wird getragen. Die Schuld? Trage ich die Schuld? Und jetzt? Der Staatsanwalt setzte sich auf, so als wolle er zu einem neuerlichen Monolog ansetzen; Ruthy lehnte sich zurück und spielte zufrieden mit ihrem Kugelschreiber.
    Der Richter wandte sich an den Staatsanwalt. »Sie sind nicht annähernd an so etwas wie eine Beweisführung herangekommen.«
    »Euer Ehren, da muss ich widersprechen.«
    »Wenn Sie möchten, können Sie gern Berufung einlegen. Wenn Sie glauben, Sie hätten Aussicht auf Erfolg. Für diese Kammer ist die Sache abgeschlossen.«
    »Euer Ehren, bevor Sie die Sitzung schließen«, ging Arnold Chang
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