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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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Die Männer arbeiteten im tranigen Licht ihrer Grubenlampen. Vor Staub war kaum etwas zu sehen. Immer wieder mussten sie pausieren und warten, bis sich der aufgewirbelte Dreck gelegt hatte. Die feuchten Taschentücher vor den Gesichtern waren genauso nass und verschmutzt wie ihre durchgeschwitzten Klamotten. Ein Stollen, ja. Aber nur wenige Meter unter der Erde gelegen. Aus der Ferne waren Dampframmen zu hören. Kumpel waren sie, jedoch nicht unter Tage. Keine Bergarbeiter. Kohle hatten sie dennoch vor Augen.
    «Das geht mir alles zu glatt. Drei Tage buddeln wir hier nun schon, und keiner hat was gemerkt.»
    «Ich sagte doch, das Ding ist sicher. Für den Gang interessiert sich keiner. Hier gibt es so viele Gänge, einer mehr oder weniger fällt da nicht auf.»
    «Und du bist sicher, dass wir an der richtigen Stelle sind?»
    «Absolut. Wie weit seid ihr?»
    «Nur noch diese Steinreihe. Ich kann schon den Hohlraum ausmachen.»
    Steine purzelten. Die Männer schreckten zurück und kauerten sich Schutz suchend an den Rand des Stollens. Stützwerk hatten sie keines ausgebracht, jetzt richteten sich ihre Blicke angstvoll nach oben. Nichts. Keine Risse. Nur ein schmales Rinnsal von Wasser. Die Decke hielt. Sie wischten sich den Schweiß von der Stirn und erhoben sich.
    Der Mauerdurchbruch bot genügend Platz. Einer nach dem anderen schlüpften sie in den dahinter liegenden Kellerraum.
    «Und jetzt?»
    «Leuchte mal da rüber!»
    Der Drehschalter ließ eine Glühbirne an der Decke aufflackern. Endlich Licht. Die Männer schauten sich um. Sie standen in einem Gewölberaum, der bis zu den Schultern mit hellem, glasiertem Steinzeug gekachelt war. Keine Bilder an den Wänden, keine Einrichtungsgegenstände, nur die Lampe an der Decke. Zur Linken zwei Türen, zur Rechten eine. Aus Eisen.
    «Das ist die Tür. Dahinter wohnt das Glück.»
    «Da kommen wir nie rein.»
    «Red nicht. Reich mir den Kasten und hol die Flaschen.»
    Die Männer wuchteten die schweren Eisenflaschen durch das Loch in der Wand. Der Holzkasten enthielt Schläuche und eine kunstvoll gebogene Apparatur aus messingfarbenen Rohren, vorne eine sich verjüngende Spitze dran. Wortlos wurden die Teile verbunden. Ein Streichholz entzündete erst eine Kerze, dann den Brenner. Ein Knall, dann ertönte ein zischendes Fauchen.
    «Wozu die Kerze?»
    «Wenn die Flamme erlischt, müssen wir hier raus und fofftein machen. Das Ding verbraucht Sauerstoff wie nichts Gutes.»
    «Woher hast du das Teil?»
    «Organisiert. Damit schneiden sie neuerdings Stahlplatten bei Blohm & Voss zurecht.»
    «Und du kannst damit umgehen?»
    «Ist selbsterklärend …»
    Der Mann setzte eine dunkle Brille auf und regelte den Feuerstrahl aus dem Brenner mit einem kleinen Rändelrad, bis sich die Farbe der Flamme erst grünlich blau, dann weiß verfärbte. Behutsam richtete er den scharfen Strahl auf das Eisen der Tür. Es brutzelte, und Funken sprühten auf. Durch das getönte Brillenglas konnte er erkennen, wie sich die grelle Flamme durch das Eisen schnitt, als handle es sich um Butter. Die anderen hatten den Blick abgewandt und starrten auf die Kerze am Boden. Ein beißender Gestank erfüllte den Raum. Schnitt für Schnitt schälte der Brenner die eisernen Platten von der Tür. Der Mann wusste anscheinend genau, welchen Bereich er öffnen musste, um an den Schließmechanismus zu gelangen.
    Endlich Stille. Mit einem Brecheisen hebelte er die letzte Platte aus der Tür, deren Ränder immer noch glühten, als sie zu Boden fiel. Nach einer Andachtssekunde griff er nach einer Stange im Hohlraum der Tür. Ein sattes Schnappen ertönte, und sie sprang auf.
    «Und … offen!» Der Blick, den er den anderen zuwarf, war von Stolz erfüllt.
    «Unglaublich.»
    Ehrfurchtsvoll blickten die Männer in den Tresorraum. Auf den Regalen stapelten sich gebündelte Geldscheine.
    «Wahnsinn! Wie viel mag das sein?»
    «Frag nicht, greif zu! Zählen kannst du später.»
    «Leuchte mal hier rüber. Ich brauch noch was anderes.»
    «Psst! – Hast du das gehört?»
    «Was?»
    «Das Geräusch. Als wenn eine Tür klappt.» Die Männer verharrten regungslos. Keiner gab einen Mucks von sich.
    Dem Lauschen folgte ein Flüstern. «Ich hör nichts.»
    «Dann hab ich mich wohl getäuscht. Los, an die Arbeit. Einsacken, und dann nix wie raus hier.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 1
    D er Blick vom Schweinemarkt aus war überwältigend und beängstigend zugleich. Im Wald hätte man von einer Lichtung gesprochen, einer
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