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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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Straße war ein Abbild des bodenständigen Amerika, des Amerika aus The Music Man . Sie dachte: Fehlt nur noch die Straßenbahn. Hier können die Jungen Fahrrad fahren. Keine Mauer trennte das Viertel vom Rest der Stadt, und doch waren alle Fenster unvergittert. Die Leute hier lebten angstfrei. Hier ist alles so, wie es sein soll. Ja, die Luft war abgestanden und schwül, und die Meeresbrise würde Maureen fehlen. Sie musste sich von ihrem Traumhaus verabschieden, genau genommen hatte man sie daraus verjagt, aber vielleicht war es besser so. Den Meeresblick habe ich mit einer furchtbaren Isolation bezahlt da oben auf dem Berg, in diesem abgeriegelten, einsamen Haus.
    »Nur hundertsiebzig Quadratmeter«, sagte Scott, »passen wir da rein?«
    »Darum geht es uns doch«, entgegnete Maureen. »Mit weniger auszukommen.«
    Scott dachte über den Kaufpreis nach, siebenstellig und höher als jener, den er vor fünf Jahren für das Haus am Paseo Linda Bonita bezahlt hatte. Und jetzt soll ich noch mehr ausgeben, für weniger Platz ohne Meerblick? Für das Haus sprachen nur die ausgezeichneten Schulen in der Gegend und dass es klein genug war, um es ohne mexikanische Hausangestellte in Ordnung zu halten.
    »Wie wäre es, wenn wir weniger bieten?«, fragte Scott den Makler, ein Mann mit glattem Haar und rauer Haut, der eben den oberen Treppenabsatz erreicht hatte.
    »Möglicherweise lässt sich der Verkäufer darauf ein. Sie haben Glück, im Moment sind die Immobilienpreise niedrig. Haben sich im letzten Monat auf niedrigem Niveau eingependelt.«
    »Meinen Sie, sie könnten weiter fallen?«
    »Nein, ausgeschlossen.«
    Oben lag Brandon immer noch auf dem Bauch und schaute aus dem Fenster. Er war ein bisschen enttäuscht, dass die neue Umgebung ihn zu keiner Abenteuergeschichte inspirierte, aber dann erschien unten auf der Straße ein Mädchen von zwölf oder dreizehn Jahren. Von seiner Warte aus beobachtete er, wie es am Haus vorbeiging. Es drückte sich ein Buch an die Brust. Der lange schwarze Zopf hing ihm bis auf den Rücken, während es mit langsamen, femininen Schritten über die Gehwegplatten schwebte. Der Anblick verursachte Brandon ein nie gekanntes Kribbeln tief unten im Bauch. Was für ein hübsches Mädchen . Er vergaß die Waldwesen und alles andere, bis das Mädchen aus seinem Blickfeld verschwunden war. Für die nächste Stunde verschwendete er keinen einzigen Gedanken an seine Bücher, an Holden Caulfield oder den Drachen von Eragon; stattdessen betete er insgeheim, dass sie in dieses Haus einziehen würden, damit er das Mädchen wiedersehen und vielleicht sogar ansprechen konnte.
    Maureen stieg mit Samantha über eine Hintertreppe in den Garten und ließ die Kleine über den Rasen laufen. Es gab hier weder einen Pool noch den Platz dafür. Gut. Es war besser so. Der Garten war nicht von einer hohen Mauer, sondern von einem Lattenzaun umgeben, der kaum höher als Samantha war. Von der Küchentür hatte Maureen freien Blick aufs Nachbargrundstück, wo sich eine Frau mit Strohhut und Hacke in der Hand über ein Beet beugte. Beete nahmen den größten Teil ihres Gartens ein, Beete mit smaragdgrünen Kugeln an krautigen Sträuchern, mit Sonnenblumen und Maisstängeln, die bald mannshoch wären und so steif und stabil wirkten wie Bäume.
    »Hallo«, rief die Frau.
    »Hallo«, antwortete Maureen.
    »Das ist ein wunderschönes Haus.«
    »Ja, wirklich.«
    »Werden Sie es kaufen?«
    »Vielleicht.«
    Die Frau lächelte, griff nach einer Kiste und richtete sich auf. Sie kam an den Gartenzaun und hielt die Kiste hoch, damit Maureen den Inhalt sehen konnte, ein Dutzend leuchtend roter, kaum mandarinengroßer Kugeln. Maureen überquerte den Rasen. Die Frau griff mit behandschuhten Fingern in die Kiste, schüttelte den Lehm von einer der Kugeln und reichte Maureen eine Tomate.
    »Die ist ja prächtig.«
    »Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe zu viele davon. Ich werde sie einer Freundin schenken.«
    »Sie haben sie selbst angebaut?«
    »Meine Sommerernte. Schwarze Kirschtomaten, im April gepflanzt. Die Bestäubung haben die Bienen übernommen. Alles bio!«
    »Bio«, wiederholte Maureen langsam und fand, das Wort klang paradiesisch, nach Naturverbundenheit, Reinheit, nach dem einfachen Leben.
    »Gärtnern Sie?«, fragte die Frau.
    Maureen öffnete den Mund und wollte erst Nein sagen, dann Ja, geriet ins Schleudern und sagte gar nichts. Und dann fragte sie: »Ist es schwer zu lernen?«
    »Das passiert fast nie, wissen Sie das«,
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