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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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Vorspiel
     
     
    E ine einzelne Blume, eine Schwarze Nieswurz, stand in einer Vase aus vulkanischem Gesteinsglas mitten auf dem wuchtigen Schreibtisch, wo sie im Lichtkegel eines kleinen, dezenten Scheinwerfers ihrem Namen zum Trotz beinahe radioaktiv weiß leuchtete. In anderen großen Häusern hätte das Bild solch einer täuschend unschuldig wirkenden Blüte auf einem großen Banner fast die ganze Wand hinter dem Chefsessel eingenommen, doch hier war derlei Imponiergehabe nicht nötig. In die oberen Regionen dieses ungeheuren knochenfarbenen Gebäudes kam niemand herein, der nicht wußte, wo er war und wer hier herrschte.
    In der Menschenwelt wird die Schwarze Nieswurz manchmal auch Christrose genannt, weil sie nach einer alten Sage dort aus dem Boden sproß, wo die Tränen eines kleinen Mädchens, das kein Geschenk für das Christuskind hatte, vor dem Stall von Bethlehem in den Schnee fielen. Sowohl der Schnee als auch die Blume selbst waren für das Heilige Land jener Zeit unwahrscheinliche Vorkommnisse, doch das hat der Beliebtheit der Geschichte nicht geschadet.
    Im Griechenland der alten Mythen heilte Melampus von Pylos mit der Nieswurz die Töchter des Königs von Argos, die, von der dionysischen Raserei geschlagen, unter Weinen, Kreischen und Lachen nackt durch die Stadt liefen.
    Es gibt viele Geschichten über die Nieswurz. In den meisten kommen Tränen vor.
    Der Beseitiger lästiger Hindernisse war dem Schweigen nicht abhold, im Gegenteil, er schwamm darin wie ein Fisch im Wasser. Er fixierte die angestrahlte Blume, durchstreifte in Gedanken einige der dunkleren Pfade seines inneren Labyrinths und wartete mit der Geduld eines Steins darauf, daß die Gestalt hinter dem Schreibtisch das Wort ergriff. Das Schweigen zog sich lange hin.
    Der Mann hinter dem Schreibtisch, der anscheinend seinerseits eine innere Fährte verfolgte, regte sich schließlich. Langsam, geradezu träge streckte er einen Arm aus und berührte die vor ihm stehende Blume. Sein Anzug aus Spinnenseide raschelte so leise, daß nur eine Fledermaus oder der ihm gegenübersitzende Gast es hätte hören können. Sein langer Finger, kaum minder weiß als die Blume, tippte ein Blütenblatt an, und es erzitterte.
    Es waren keine Fenster im Raum zu sehen, doch der Beseitiger lästiger Hindernisse wußte, daß draußen dicke Regentropfen auf das Pflaster prasselten und die Kutschen spritzend durch tiefe Pfützen fuhren. Hier drinnen war die Luft so still, daß man meinen konnte, er und sein Gastgeber säßen in einem samtverkleideten Schmuckkästchen.
    Der Mann in dem schönen, blauschwarz schimmernden Anzug tippte abermals sachte die Blume an. »Es wird Krieg geben«, sagte er schließlich. Seine Stimme war tief und melodisch. Es gab Menschenfrauen, die mitten in der Nacht von seiner warmen, unsichtbaren Gegenwart im Zimmer geweckt worden waren und sich, nachdem sie ihn sprechen gehört hatten, so rückhaltlos in diese Stimme verliebten, daß sie allen menschlichen Freiern und der Möglichkeit eines glücklichen Lebens im Sonnenschein ein für allemal abschworen in der eitlen Hoffnung, er werde zu ihnen zurückkehren und sie könnten diese eine rauschhafte Mitternachtsstunde ein weiteres Mal durchleben.
    »Es wird Krieg geben«, stimmte der Beseitiger zu.
    »Das Kind, von dem wir gesprochen haben. Es darf nicht am Leben bleiben.«
    Ein langes Ausatmen – war es ein Seufzer? »Das wird es nicht.«
    »Du wirst den üblichen Lohn erhalten.«
    Der Beseitiger nickte, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Er hatte kaum die Befürchtung, daß irgend jemand, und sei es dieser große Machthaber, es versäumen würde, ihn zu bezahlen. Wenn es Krieg gab, wurde er wieder gebraucht. Er war der beste Mann für Spezialaufträge, unbedingt verschwiegen und hundertprozentig zuverlässig. Er war überdies jemand, den man nicht gern zum Feind haben wollte.
    »Sofort?« fragte er.
    »Sobald du kannst. Wenn du zu lange säumst, könnte jemand dahinterkommen. Außerdem sollten wir kein Risiko eingehen. Der Kleeblatteffekt ist immer noch in mancher Beziehung undurchsichtig. Womöglich bekommst du keine zweite Gelegenheit.«
    Der Beseitiger stand auf. »Die habe ich noch nie gebraucht.«
    Rasch wie ein Schatten, der über die dunklen Wände huscht, war er aus dem Raum verschwunden. Das Oberhaupt des Hauses Nieswurz sah vieles, was andere nicht sehen konnten, doch selbst er bekam nicht genau mit, auf welche Art sich der Beseitiger entfernte.
    Sich vor dem
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