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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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Vater hatte er die Rolle des Familienpatriarchen übernommen, was bedeutete, daß er Theos Mutter zu Weihnachten anrief und sie ein- oder zweimal im Jahr, wenn er in irgendeiner geschäftlichen Angelegenheit nach San Francisco flog, im Sizzler zum Essen einlud. »Er würde dich gern sehen.«
    »Ja, klar, ich ruf dich an, wenn’s soweit ist, vielleicht können wir was ausmachen.« Wie schnell das Gespräch in den üblichen Austausch von Belanglosigkeiten abgeglitten war, nüchtern, mit leichten Schuldgefühlen behaftet. Theo hätte gern etwas anderes gesagt, hätte gern das Muster durchbrochen und sie gefragt, was sie wirklich empfand, nein, was er angesichts dieses Schicksalsschlages eigentlich empfinden müßte, doch es ging nicht. Es war, als ob sie ihre Worte unter großen Schwierigkeiten durch ein Medium schicken mußten, das dünner war als normale Luft, so daß nur die leichtesten, banalsten Sachen von einer Seite zur anderen gelangten und nicht in den Abgrund der Stummheit fielen.
    Ein kurzer, unsentimentaler Abschiedsgruß von seiner Mutter, und Theo war wieder mit sich allein. Er rief im Krankenhaus an, weil er sich fragte, ob Catherine vielleicht auch allein war und jemanden brauchte. Laney nahm den Hörer ab und teilte ihm auf recht kühle Art mit, daß Cat schlief und er sich mit dem Kommen nicht beeilen mußte.
    »Ich habe mir auch morgen von der Arbeit freigenommen«, ließ sie ihn wissen. »Ich werde hier sein.« Es klang mehr wie eine Drohung an seine Adresse als wie ein Liebesdienst an Cat.
    »Wie geht’s ihr?«
    »Na, wie wohl?«
    »Jesses, Laney, du tust so, als hätte ich sie die Treppe runtergestoßen. Das war auch mein Kind!«
    »Das weiß ich, Theo.«
    »Meinst du vielleicht, ich wünschte nicht, ich wäre dagewesen? Aber ich hätte trotzdem nichts machen können. Das hat der Arzt selbst gesagt.«
    »Niemand macht dir einen Vorwurf, Theo.«
    Aber es hörte sich ganz danach an.
    Nachdem er aufgelegt hatte, stand er im Wohnzimmer und starrte auf die noch vom Vorabend herumliegenden Sachen, die Spuren eines normalen Lebens, das urplötzlich von einer Katastrophe heimgesucht und darunter begraben worden war wie Pompeji. Sie hatte auf der Couch gesessen und ferngesehen, als die richtig schlimmen Krämpfe losgingen. Beim Aufstehen war sie gegen den Tisch gestoßen – ein Glas lag noch am Fußboden, und ein blasser Fleck verschütteter Diätcola zeichnete sich auf dem rupfigen, in die Jahre gekommenen Teppich ab. Hatte sie Blut verloren, bevor sie das Bad erreichte? Er begann, ihren Weg nachzugehen, dann zwang er sich, aufzuhören. Es war zu widerlich, zu grauenhaft. Als ob er den Schauplatz eines Mordes untersuchte.
    Nur drei Stunden Schlaf, und doch war er aufgekratzt, als hätte er schlechtes Speed eingeworfen. Er stellte den Fernseher an. Die Bilder sagten ihm nichts.
    Was ist aus meinem Leben geworden? Wie kann es sein, daß etwas so Kleines – es war noch gar kein richtiges Kind, da kann sie sagen, was sie will – alles derart total verändert? Doch was für ein Leben war das eigentlich, wenn man sich nur beim Musikmachen lebendig fühlte, aber irgendwie nie den richtigen Ort und die richtigen Leute dafür fand?
    Dir ist alles zu leicht in den Schoß gefallen, hatte seine Mutter ihm vor ein paar Jahren in resigniertem Ton erklärt. Als kleiner Junge warst du so begabt, die Lehrer haben dich über den grünen Klee gelobt. Deshalb hast du niemals in irgendeiner Richtung Ehrgeiz entwickelt.
    Jetzt mußte er erst mal etwas finden, irgend etwas, womit er sich beschäftigen konnte. Er wünschte, Johnny wäre da, und er könnte von ihm eine Zigarette schnorren oder gleich mehrere, herumsitzen und rauchen und kaltes Bier trinken und irgendeinen belanglosen Scheiß reden. Aber wenn er ihn anrief, mußte er ihm die ganze trostlose Geschichte erzählen. Nein, ein andermal.
    Cats Gesicht war so bleich …! Als ob ihr das Herz aus dem Leib gefallen wäre und kein totes kleines Baby.
    Er stand auf und begab sich ins Schlafzimmer. Sie hatten dort Kisten mit Sachen gestapelt, nur zwischengelagert, bis er das noch übrige Zimmer räumte, seinen Übungsraum, wie er es manchmal nannte, obwohl er die Male, die er dort tatsächlich mit seiner Gitarre zugebracht hatte, an einer Hand abzählen konnte. Der Übungsraum sollte das Kinderzimmer werden, und die ganzen Sachen waren für das Baby gedacht. Gewesen. Jetzt wollte Cat sie bestimmt nicht mehr sehen, wenn sie zurückkam, die ersten paar symbolischen
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