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Blutleer

Blutleer

Titel: Blutleer
Autoren: Silvia Kaffke
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1.
    Endlich. Die letzten Meter bis zur Einfahrt der Hielmannvilla. Barbara seufzte. Sie hatte eine Horrorfahrt hinter sich von Berlin, wo sie an der Polizeifachhochschule ein einwöchiges Seminar gehalten hatte, bis zurück nach Düsseldorf. Sie hatte mehr als einmal darüber geflucht, dass sie ihre Rückreise ausgerechnet zum Sommerferienbeginn in Nordrhein-Westfalen geplant hatte. Es war eine anstrengende Woche gewesen, mit sehr aufgeschlossenen, aber auch sehr kritischen Beamten, bei denen es weniger um die Theorie als um die Einbindung von Profiling-Methoden und -Erkenntnissen in die normale Polizeiarbeit gegangen war. Die Zeiten, da ihr Fachgebiet als Schnickschnack abgetan worden war, waren glücklicherweise lange vorbei. Jetzt konnte sie sich vor Interessenten an ihren Kursen kaum retten. Regelmäßig gab es zu viele Teilnehmer, was zusätzlich Kraft kostete.
    Zu den vollgepackten Wagen der Ferienreisenden, die gleichermaßen die Autobahn sowohl in Nord-wie auch in Südrichtung verstopften, gesellten sich um diese Zeit neben Berufspendlern auch noch Kurzurlauber, die ins Wochenende wollten. Ein schwerer Unfall mit Vollsperrung beider Fahrbahnen hatte Barbara zwei unwiederbringliche Stunden gekostet, die sie dem Chaos eigentlich hatte voraus sein wollen. Sie hatte sieben Stunden reine Fahrtzeit hinter sich für eine Strecke, die sie sonst in rund fünf Stunden bewältigte, und war entsprechend genervt und erschöpft.
    Als sie jetzt in die Einfahrt einbog, stieß sie einen nicht salonfähigen Fluch aus. Vor der Tür stand ein leicht zerbeulter schwarzer Golf mit einem weißen Kotflügel: Özay. Der Detektiv und Gelegenheitsjournalist war ein Freund, aber nach so einem Tag war er nur schwer zu ertragen. Er lehnte an seinem Wagen und zu ihrem Erschrecken musste Barbara feststellen, dass er betrunken war.
    »Deine Chwi … Chwi … Thomas’ Mutter wollte mich nich reinlassen«, begrüßte er sie.
    »Woran könnte das wohl liegen?« Barbara stieg aus dem Wagen und nahm ihren kleinen Koffer. »Bist du etwa so gefahren?«
    »Wie – so?«
    »Du bist blau, Özay.«
    Er stierte nachdenklich vor sich hin. »Ja, da hast du wohl Recht.«
    »Und warum kommst du in diesem Zustand hierher?«
    »Ich muss mit dir reden.«
    Barbara kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sie ihn nicht loswerden würde, eher würde er vor der Tür übernachten.
    »Dann komm rein. Ich mach dir einen Kaffee.«
    Thomas war nicht zu Hause. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, seit der Herztransplantation war er vielbeschäftigt. Seine Aktivitäten als Privatdozent an der Uni hatte er mehr als verdoppelt, außerdem pflegte er engere Beziehungen zu seinen Studenten in mehreren Gesprächskreisen. Hinzu kam, dass er es genoss, endlich Sport treiben zu können. Er joggte leidenschaftlich, Barbara fürchtete, es könnte irgendwann einmal auf einen Marathon hinauslaufen. Sie selbst hatte Sport, mit dem sie sich in ihrer Zeit als aktive Polizistin hatte fithalten müssen, immer als notwendiges Übel angesehen. Seit sie nur noch an der Uni und als Beraterin arbeitete, hatte sie fast gar keinen Sport mehr betrieben. Glücklicherweise neigte sie von jeher eher zu Untergewicht.
    Özay hatte sich an der Kochinsel Halt gesucht. Während Barbara, die ihren Koffer im Flur stehen gelassen hatte, zwei Espressos an der Maschine zapfte, sagte er kein einziges Wort.
    »Ich denke, du willst mit mir reden.«
    »Das is nicht so einfach.« Seine Aussprache war immer noch verwaschen, aber Barbara spürte, dass es hier nicht um die üblichen Özay-Themen ging – schnelles Geld, eine neue Frau. Irgendetwas machte ihm richtig zu schaffen.
    »Vielleicht geht es hiermit besser.« Barbara reichte ihm den Espresso und goss noch zwei Gläser Mineralwasser ein.
    »Können wir uns hinsetzen?«, fragte er.
    Barbara deutete auf die Küchenbar, aber Özay schüttelte den Kopf. »Richtig hinsetzen, damit wir reden können.«
    Er folgte Barbara leicht schwankend ins Esszimmer. Sie setzten sich an den Tisch.
    »Was zum Henker ist los, Iskender? Warum hast du dich betrunken?« Beim Vornamen nannte Barbara ihn nur, wenn es ernst wurde. Sonst hatte er das Privileg, das eigentlich nur Polizeikollegen zustand – sie nannte ihn beim Nachnamen.
    »Ich wollte mir nur ein wenig Mut antrinken. Und dann wurde es wohl ein bisschen mehr. Weil … weil ich sehr viel Mut dazu brauche.« Er schlürfte den Espresso, Schluck für Schluck, die ganze Tasse. Barbara wartete geduldig.
    »Du … du bist eine
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