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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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ausschließende Barriere, die Theo nicht übertreten konnte. Nachdem er sich eine Stunde lang immer neue Botengänge ausgedacht und von unten Kaffee und Zeitschriften angebracht hatte, teilte er Catherine mit, er werde nach Hause fahren und ein bißchen zu schlafen versuchen. Cat reagierte nicht, aber ihre Mutter stimmte ihm zu, das sei eine gute Idee.
     
    O bwohl er hundemüde war, konnte er nur drei Stunden schlafen. Als er aufstand, kam ihm die Erkenntnis, daß er niemandem aus seinem eigenen Freundes- und Verwandtenkreis Bescheid gesagt hatte. Schwer vorstellbar, wen er anrufen sollte. Johnny? Theo wußte, wie die Reaktion seines Freundes ausfallen würde, hatte sogar den genauen Tonfall im Ohr: »O Thee, wow. Das ist echt die Härte, Mann.« Schon nach wenigen Sekunden würde ihm nichts mehr einfallen, und der Austausch der lahmen, unpassenden Männerfloskeln würde endgültig ins Stocken geraten. Natürlich wäre Johnny aufrichtig bekümmert – er war wirklich ein guter Kerl –, aber ihn anzurufen hatte keinen Wert.
    Und mit den anderen Typen in der Band zu reden war eine völlig absurde Vorstellung. So absurd, daß er Johnny allein deswegen irgendwann informieren mußte, damit der Drummer das für ihn übernahm und Theo das Schauspiel erspart blieb, mit anzusehen, wie Kris und die anderen beiden ein bißchen Betroffenheit heuchelten, falls sie sich überhaupt die Mühe machten.
    Wen sollte er sonst anrufen? Man konnte doch nicht ein Kind verlieren – auch sein Kind, mußte er sich immer wieder in Erinnerung rufen, zur Hälfte seines, nicht bloß Catherines – und es niemandem erzählen! Stand es wirklich so schlecht um ihn, daß er mit seinen dreißig Jahren keinen Menschen im Leben hatte, mit dem er über die Fehlgeburt reden mußte oder wollte?
    Wo sind meine Freunde? Ich war doch früher ständig von Leuten umgeben. Aber wo waren sie, diese Leute? Damals hatte er sie aufregend gefunden – die Mädchen, die zu seinen Auftritten geströmt waren, die Typen, die davon geredet hatten, ihn zu managen –, aber jetzt konnte er sich kaum mehr an sie erinnern. Freunde? Nein, bloß Leute, und Leute schienen sich dieser Tage nicht mehr besonders für ihn zu interessieren.
    Zuletzt rief er seine Mutter an, obwohl er seit Anfang Februar nicht mehr mit ihr gesprochen hatte. Es kam ihm gemein vor, vier Wochen und mehr mit einem Anruf zu warten und sie dann mit einer derartigen Meldung zu überfallen, doch er wußte nicht, was er sonst tun sollte.
    Schon vor dem zweiten Klingeln nahm sie den Hörer ab, wie üblich. Es war eine nervige Angewohnheit – als ob sie nie weiter als eine Armeslänge vom Telefon entfernt war. Ihr Leben konnte doch seit Papas Tod nicht dermaßen leer sein, oder? Schließlich waren die beiden auch vorher nicht laufend zusammen ausgegangen.
    »Hi, Mama.«
    »Hallo, Theo.« Sonst nichts, kein »Lange nichts von dir gehört« oder »Wie geht’s dir?«
    »Ich, äh … ich habe schlechte Neuigkeiten, Mama. Catherine hat das Kind verloren.«
    Das Schweigen war selbst für Anna Vilmos’ Verhältnisse lang. »Das ist schrecklich, Theo. Das tut mir sehr leid für euch.«
    »Sie hatte eine Fehlgeburt. Ich kam nach Hause, und da lag sie im Bad auf dem Boden. Es war grausig. Überall Blut.« Er merkte, daß er das Ganze bereits wie eine Geschichte erzählte, nicht wie etwas, das ihm wirklich zugestoßen war. »Ihr geht’s soweit okay, aber ich glaube, es drückt sie ziemlich.«
    »Was war die Ursache, Theo? Das müssen sie doch wissen.«
    Sie. Mama sprach von den Leuten in Machtpositionen, einerlei welcher Art, immer so, als ob es sich um eine geschlossene allwissende, allmächtige Gesellschaft handelte. »Nein, sie wissen es nicht. Es ist einfach … ohne äußeren Anlaß passiert, irgendwie. Sie machen Untersuchungen, aber sie wissen es noch nicht.«
    »Schrecklich.« Und damit schien das Thema beendet zu sein. Theo versuchte sich zu erinnern, was er vor dem Anruf im Kopf gehabt hatte, was er erwartet hatte, ob es mehr als eine Art Sohnespflicht gewesen war: Schau her, Mama, das ist diesen Monat in meinem Leben schiefgegangen.
    Es wäre ein lebendiges Kind gewesen, dachte er unvermittelt. So lebendig wie ich. So lebendig wie du, Mama. Es ist nicht bloß irgendwie »schrecklich«. Doch das sprach er nicht aus.
    »Dein Onkel Harald wird nächsten Monat in der Stadt sein.« Der jüngere Bruder seines Vaters war Manager in einer Einzelhandelskette und lebte in Südkalifornien. Nach dem Tod von Theos
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