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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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Babysachen, die Bücher und Stofftiere, die sie bei einem Garagenverkauf erstanden hatte.
    »Wenn man die Sachen gebraucht kauft, macht es nichts«, hatte sie ihm nur halb im Scherz versichert. Oder vielleicht überhaupt nicht im Scherz. »Das bringt dem Baby kein Unglück.«
    Aber es hatte ihm Unglück gebracht. Oder sonst etwas. Theo hatte das unbestimmte Gefühl, daß er der Unglücksbringer gewesen war, auch wenn er nicht sagen konnte, warum, daß er auf unerklärliche Weise eine Schuld trug, die ihn besudelte wie ein Fleck auf der Hose. Wie dem auch sein mochte, vor ihm standen drei große Lebensmittelkisten voll Sachen, die sie zum Weinen bringen würden, wenn sie nach Hause kam. Dagegen konnte er etwas machen, das war einmal etwas Nützliches, das in seiner Macht lag. Er konnte sie in die Garage schaffen, wo Cat sie nicht gleich zu Gesicht bekam, so daß sie nicht schon am ersten Tag zur Tür hereintreten und einem niedlichen Stoffhündchen begegnen mußte, das sie mit großen Knopfaugen ansah.
    Es war nicht ganz leicht, einen Platz für die Babysachen in der Garage zu finden, wo Theos Kisten mit gebrauchten Science-fiction-Büchern und anderem Krimskrams in einsturzgefährdeten Stapeln standen wie die Ruinen einer antiken Stadt, wo unbenutzte Fitnessgeräte und unaufgebaut verpackte Bücherregale kaum Platz für Cats Auto ließen, so daß sie, sobald das Wetter dauerhaft warm wurde, das Kunststück, darin zu parken, bis zum Spätherbst nicht einmal mehr versuchte. Dann jedoch mußte das ganze neue Zeug, das sich den Sommer über dort angesammelt hatte, anderswo hingebracht werden, damit das Auto wieder in die Garage paßte.
    Bei seinem Bemühen, die letzte Kiste in das schmale Regal über der Werkbank zu quetschen, kippte sie heraus und knallte ihm an die Schläfe; als er sich an die Stelle faßte, hatte er Blut am Finger. Die Kinderbücher hatten sich über die Stufen ergossen, die von der Küche herunterführten. Theo brummte der Schädel. Er ließ sich auf der untersten Stufe der kurzen Treppe nieder wie ein Geriatriker, damit er sich nicht bücken mußte, um sie wieder einzusammeln: alte, zerlesene und sichtlich gern gehabte Bände von Pu dem Bären, Dr. Seuss und Wo die wilden Kerle wohnen, alle gebraucht gekauft, damit sie unter Cats Ausnahmeregelung fielen. Er hob eines auf, das er selbst beigesteuert hatte, neu in einer Buchhandlung gekauft, weil er es unvorstellbar fand, ein Kind ohne dieses Buch aufwachsen zu lassen, und weil auch eines von ihm dabeisein sollte, obwohl er Samstag morgens für Cats Fahrten zu Garagenverkäufen nie früh genug aus dem Bett kam.
    War ich der Unglücksbringer? In seinem elenden Zustand konnte er nicht einmal über den Gedanken lachen. Er schlug das Buch auf. Die eigentümlichen flächigen Bilder, auf den ersten Blick naiv und beinahe dilettantisch, fesselten ihn genau wie immer. Hatte seine Mutter es ihm wirklich vorgelesen? Er konnte es heute kaum glauben, daß er einmal eine Mutter gehabt haben sollte, die ihren Sohn auf dem Schoß gehalten und ihm Goodnight Moon vorgelesen hatte, doch der Text hatte sich ihm eingeprägt wie ein auswendig gelernter Katechismus: das kleine Hasenkind in seinem großen grünen Zimmer, das zu all seinen vertrauten Sachen gute Nacht sagte, zu den Fäustlingen und den Kätzchen, dem Kamm und der Bürste und ziemlich gegen Ende merkwürdigerweise zu »Niemand«.
    Gute Nacht, Niemand. Er hatte das nie verstanden – einerseits war es die magischste Stelle im ganzen Buch und andererseits die erschreckendste. Die ganzen anderen Bilder, das Häschen im Schlafanzug, das Kaminfeuer, die alte Mutter Hase beim Vorlesen, sie waren alle einleuchtend. Die Liste der Gegenstände, Stühle und Katzen und Strümpfe, gute Nacht, gute Nacht, dann einfach die leere Seite und »gute Nacht, Niemand«. Aber wer war Niemand? Es war Zen für Kinder. Manchmal hatte er sich in seinen Kleinejungenphantasien vorgestellt, er könnte der Niemand aus dem Buch sein, Theo selbst als namenloser Schatten, das Buch wüßte, daß er davorsaß, von außen in die warme, gemütliche Stube hineinschaute wie durch ein Fenster und zusah, wie sich das Häschen fürs Bett fertigmachte. Seine Mutter hatte dem noch nachgeholfen, denn wenn sie im Buch an diese Stelle kamen, sagte sie regelmäßig: »Gute Nacht, Niemand. Sag gute Nacht!« Und Theo hatte es getan. Vielleicht hatte sie nur gemeint, er solle dem kleinen Wesen, das Niemand genannt wurde, gute Nacht sagen. Doch er hatte immer
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