Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
ruckartige Realitätsverschiebung, nicht minder bestürzend als eine jähe Halluzination. Der Fußboden hinter der Tür war genauso mit Blut beschmiert, schreiend knallrot im Neonlicht. Auch Cats Frotteebademantel, der zu einem großen Klumpen verknäult neben der Toilette an der Wand lag, war davon durchtränkt.
    »O Gott …«, stieß er hervor.
    Der Bademantel zuckte und wälzte sich herum, und Catherines bleiches Gesicht erschien. Ihre Haut sah aus wie eine weiße Papiermaske, nur daß sie auf beiden Wangen blutige Fingerabdrücke hatte – ihre eigenen, wie sich später herausstellte. Doch im ersten Moment konnte er sie nur fassungslos anstarren, die Brust vor Schreck wie abgeschnürt, und dabei schrillte sein Gehirn in einem fort Mord Mord Mord.
    Damit hatte er recht. Doch auch das stellte sich erst später heraus. Viel später.
    Cats Augen blieben an seinem Gesicht hängen, hatten Mühe, sich scharf einzustellen. Ein staubtrockenes Flüstern: »Theo …?«
    »Mein Gott, mein Gott, was ist passiert? Bist du …?«
    Ein derart starkes Würgen lief durch ihre Kehle, daß er dachte, sie würde sich übergeben – er sah schon das schreckliche Bild vor sich, wie ihr das Blut in einer Fontäne aus dem Mund schoß. Das krächzende Geräusch, das ihr statt dessen entfuhr, war so tierisch unartikuliert, daß er zunächst die Worte nicht verstand.
    »Ichhabsverlorenverlorenverloren …!«
    Er kniete sich in die feuchte Schmiere auf dem Badezimmerboden, in das glitschige, klebrige Rot – wo war der bloß hergekommen, dieser ganze rote Papp? Er wollte ihr auf die Beine helfen, doch eine panische innere Stimme ermahnte ihn: Bewege sie nicht, sie ist ein Unfallopfer! Er wußte nicht, was vorgefallen war, was konnte da vorgefallen sein, war jemand eingebrochen und …? Plötzlich verstand er.
    »Ich hab’s verloren!« klagte sie, deutlicher jetzt, wo ihr die Luft fast völlig ausgegangen war. »O lieber Gott, ich hab das Kind verloren!«
    Er war schon durch das halbe Haus zum Telefon gestürzt, ehe ihm aufging, daß er ja sein Handy in der Tasche hatte. Er wählte den Notruf und gab die Adresse an, und gleichzeitig machte er sich damit zu schaffen, Handtücher um ihren Bademantel zu wickeln, als ob sie eine einzige große Wunde wäre, die irgendwie verbunden werden mußte. Sie weinte, doch gab dabei kaum einen Laut von sich.
    Als er fertig war, hielt er sie fest an sich gedrückt und wartete darauf, die Sanitäter an der Tür zu hören.
    »Wo bist du gewesen?« Ihre Augen waren zu, und sie zitterte. »Wo bist du gewesen?«
     

     
    K rankenhäuser waren in gewisser Weise wie Gedichte von T. S. Eliot gut ausgeleuchtete Wüsteneien, Orte leiser Gespräche, die nicht ganz verbergen konnten, daß sich hinter den Türen schreckliche Dinge abspielten. Selbst wenn er ins Foyer hinausging, um sich die Beine zu vertreten und ein bißchen von seiner gräßlichen, hilflosen Anspannung loszuwerden, hatte er das Gefühl, durch ein Mausoleum zu spazieren.
    Cats Blutverlust war nicht so lebensbedrohlich gewesen, wie Theo gemeint hatte. Ein Teil der Schmiere war Fruchtwasser gewesen, ferner verspritztes Wasser von dem heißen Bad, das sie genommen hatte, als die Unterleibskrämpfe schmerzhaft zu werden begannen. Die Ärzte erzählten ihm ruhig von einem Riß in der Fruchtblase, von möglichen Gebärmutterproblemen, doch sie hätten genausogut eine griechischorthodoxe Litanei singen können, so wenig konnte sein wie vom Donner gerührtes Hirn damit anfangen. Catherine Lillard schlief die ersten zehn Stunden fast am Stück durch, mit bleichem Gesicht wie eine Bilderbuchprinzessin, Infusionen in beiden Armen. Als sie schließlich die Augen aufschlug, schien sie ein anderer Mensch zu sein.
    »Schatz, es tut mir so leid«, sagte er. »Es war nicht deine Schuld. So was kommt einfach vor.«
    Sie machte sich nicht einmal die Mühe, auf solche Leerformeln zu antworten. Sie wandte das Gesicht ab und starrte in die Richtung des schräg von der Wand abstehenden dunklen Fernsehers.
    Er ging Cats Adreßbuch durch. Zur Frühstückszeit war ihre Mutter da, ungehalten darüber, daß Theo nicht eher angerufen hatte; kurz danach kam ihre beste Freundin Laney. Beide Frauen trugen Jeans und Arbeitshemden, als ob sie die Absicht hätten, sich die Ärmel hochzukrempeln und ein Essen für die Kirchengemeinde zu kochen oder beim Bau eines Schuppens mit anzupacken. Sie zogen so etwas wie einen Vorhang um seine blasse, schweigende Freundin, eine ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher