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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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geglaubt, daß sie ihn Niemand nannte und ihn aufforderte, seinerseits gute Nacht zu sagen, und so hatte er brav gehorcht.
    In diesem letzten Winter, nachdem das Ergebnis des Schwangerschaftstests gekommen war, hatte Theo manchmal phantasiert, daß ein kleines Mädchen auf seinem Schoß saß – Cat war sich von Anfang an sicher gewesen, daß es ein Mädchen werden würde, schon vor der Ultraschalluntersuchung –, den Kopf an seine Brust gelehnt, während sie gemeinsam das Buch durchblätterten. In seinen Tagträumen hatte er nie eine deutliche Vorstellung von ihr gehabt, hatte sich nur einen Kopf mit weichen Locken und einen warmen kleinen Körper gedacht, der sich an ihn schmiegte. Niemand. Sie hatte ausgesehen wie Niemand. Und das war dann auch aus ihr geworden.
    Er schlug die Seiten um, betrachtete die Bilder mit ihren traumähnlichen Perspektiven. Am Schluß kam dann der kleine Katechismus, und die letzten Dinge, denen gute Nacht gesagt wurde, waren die Sterne, die Luft und die Geräusche überall.
    Das sollte auf den Grabstein des Kindes kommen, nur würde es weder ein Grab noch einen Stein geben. Ein Arzt würde an Cat eine Ausschabung vornehmen, wie es im medizinischen Jargon nur allzu anschaulich hieß, um alles zu entfernen, was noch nicht herausgekommen war. Alles. Es würde nichts zu beerdigen geben. Polly, Rose, die ganzen Namen, mit denen sie gespielt hatten, ohne es damit eilig zu haben, weil es ja schließlich noch Monate hin war, und jetzt war sie namenlos geblieben. Sie war Niemand.
    Gute Nacht, Niemand.
    Mit einer Kiste Bücher auf dem Schoß saß er auf der Treppe und weinte.
     

     
    I hr Gesicht, eingefaßt von den geraden Linien ihrer ungekämmten, unfrisierten dunkelroten Haare, war immer noch bleich. Er hatte auf ihr Drängen hin tagsüber seinen Lieferantenjob gemacht, weil sie gemeint hatte, auf Händchenhalten könne sie verzichten, und war deshalb erst spät zu Besuch gekommen. Gerade hatte sie ihm erzählt, die Ausschabung sei erträglich gewesen, nicht so schlimm, doch sie sah aus, als ob mehr aus ihr herausgekratzt worden wäre als bloß nutzlos gewordenes Fleisch.
    »Hast du dolle Schmerzen?«
    Sie zuckte die Achseln. Ihre Haut wirkte trocken wie Papier, alle Vitalität schien daraus gewichen zu sein. Ihre Mutter reichte ihr eine Tasse mit Eiswürfeln.
    Laney war fort, aber Cats Eltern waren beide nach dem Eingriff gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Vorher hatte ihr Vater auf dem Gang ein bißchen mit Theo parliert, während die Schwester Cat mit der Bettpfanne half. In der akuten Notgemeinschaftsatmosphäre gab sich Mr. Lillard alle Mühe, mit kameradschaftlichem Gebaren die Tatsache zu überspielen, daß er von seinem Quasi-Schwiegersohn noch nie sehr begeistert gewesen war. Theo nahm die Geste dankbar an, auch wenn Cats Vater mit seinem Yachtclubsweater letztlich nichts zu melden hatte: Seine Frau und seine einzige Tochter behandelten Tom Lillard, als ob er eine unästhetische, aber mit den Jahren gewohnte Sonnenuhr inmitten eines von ihnen gepflegten Blumenbeets wäre. Als Cat den Wunsch gehabt hatte, daß er ihre Wahl guthieß oder wenigstens so tat, hatte sie sich bei ihrer Mutter Hilfe geholt, und es hatte gemeinsame Abendessen und Familienausflüge gegeben. Er war eine reine Galionsfigur – der senil werdende Direktor seiner eigenen Familie, der nur zu den Vorstandssitzungen erschien und sich wunderte, daß ohne ihn alles so gut lief.
    »Kann ich einen Moment mit Theo allein sprechen, Mama?«
    Ihre Mutter erhob sich und zog ihren Vater an der Hand zur Tür.
    »Wir gehen kurz mal runter und schauen uns die Zeitschriften im Kiosk an«, sagte sie. »Ich bring dir eine People mit.«
    »Danke.« Als sie weg waren, schloß Cat eine Weile die Augen und ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken.
    »Ich … ich hätte nicht gedacht, daß es so weh tun würde«, sagte Theo. Es war ihm plötzlich wichtig, ihr klarzumachen, daß auch er trauerte, obwohl er außer den Tränen auf der Garagentreppe nichts vorzuweisen hatte, um das zu belegen. »Wenn du nach Hause kommst, können wir … Haben sie was gesagt, wann wir es wieder probieren können?« War es unsensibel, so etwas zu sagen? Vielleicht dachte sie, er redete vom Sex. »Ich meine, wenn du auch innerlich bereit bist. Im Kopf, meine ich.«
    Ganz langsam, wie in einem Horrorfilm, öffneten sich ihre Augen in dem trockenen weißen Gesicht. Sie holte tief Luft. »Ich werde nicht nach Hause kommen, Theo. Nicht … zu dir. Es
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