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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf
Autoren: Milena Agus
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Zwei
    V or einiger Zeit klopfte Mr. Johnson, der Signore von oben, an meine Tür. Er war gekleidet wie ein Gentleman, mit schlichter Eleganz, außer dass seine Schnürsenkel nicht gebunden waren, sein Hosensaum herunterhing und er zwei verschiedenfarbige Socken trug.
    »Ich wohne im oberen Stockwerk«, sagte er. »Wir sind Nachbarn.«
    »Ich weiß. Unser Haus ist ja nicht so groß, dass man sich nie über den Weg läuft.«
    Er hatte eine Bitte: Ob ich vielleicht seine Blumen gießen könnte. Er spiele nämlich Geige auf Kreuzfahrtschiffen und müsse demnächst zu einer neuen Reise aufbrechen, und seiner Frau lägen die Blumen sehr am Herzen, vor allem die Rosen und die Pflanzen mit den roten Erbsen, und er wolle nicht, dass sie sie bei ihrer Rückkehr vertrocknet vorfinde.
    »Es gibt keine roten Erbsen, Mr. Johnson, Sie meinen wahrscheinlich Beeren.«
    Vor ein paar Tagen kam er dann von der Kreuzfahrt zurück und klopfte wieder an meine Tür, um sich bei mir zu bedanken. Den Rosen und den roten Erbsen gehe es prächtig, sagte er, doch das war nicht der eigentliche Grund seines Besuchs. Es war ihm ein bisschen peinlich, aber er wollte mich fragen, ob ich unter meinen Mitstudentinnen eine ausfindig machen könnte, die ihm für Kost und Logis den Haushalt führen würde. Seine Frau sei nämlich fortgegangen, vielleicht für immer, und jetzt brauche er nicht nur ein Zimmermädchen, sondern eine richtige Haushälterin, denn mit Staubwischen allein sei es ja nicht getan. Er sehe mich nämlich immer mit einem Bücherstapel unter dem Arm und habe den Eindruck, dass man mir vertrauen könne.
    Ich brauchte gar nicht lange nachzudenken, sondern begab mich schnurstracks zu Anna, der Signora von unten, die sich, obwohl herzkrank, mühsam ihren Lebensunterhalt verdienen muss. Tag für Tag fährt sie mit dem Bus quer durch die Stadt zu ihren verschiedenen Putzstellen und muss mehrmals umsteigen. Bestimmt würde sie sich glücklich schätzen, wenn sie stattdessen nur zwei Treppen in den oberen Stock hinaufgehen müsste.
    Kurz darauf saßen wir, die Signora von unten und ich, auf dem Sofa und warteten auf den Signore. Sie schaute mich an, als wollte sie sagen: »Was für eine Wohnung dieser Signore von oben hat! Ach, so eine schöne Wohnung. Hastdu gesehen, wie hell sie ist? Und die Sonnenterrasse mit Meerblick, ach, und diese Spiegel!«
    Ein Zimmermädchen, das wie ein Zimmermädchen angezogen war, bat uns, im Salon Platz zu nehmen. »Er kommt gleich«, sagte sie und ließ uns allein.
    Dann betrat Mr. Johnson den Raum, gekleidet wie ein Gentleman, mit schlichter Eleganz, außer dass sein Jackettärmel zerrissen war.
    »Ihr Jackenärmel ist zerrissen!«, sagte ich und deutete auf seinen Ellbogen.
    Er entschuldigte sich und ging wieder hinaus, ich dachte, um sich umzuziehen, und Anna warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, aber als er wieder hereinkam, hatte er noch immer dieselbe Jacke an.
    »Mr. Johnson«, sagte ich, »das ist die Signora von unten, die für Sie arbeiten könnte.«
    »Oh, vielen Dank!«
    »Meine Freundin kann alles – kochen, nähen, putzen, waschen –, und sie bügelt wie keine andere.«
    »Danke!«
    »Mr. Johnson, die Signora arbeitet auch in anderen Haushalten, aber wenn Sie wollen, kann sie schon morgen bei Ihnen anfangen.«
    »Danke!«
    »Dann also bis morgen, Mr. Johnson?« Endlich hatte Anna auch einmal etwas gesagt.
    »Bis morgen!«
    Endlich hatte Mr. Johnson sie angesehen und direkt mir ihr gesprochen.
    »Auf Wiedersehen!«
    »See you soon!«
    Und wir gingen wieder.
    Während des Vorstellungsgesprächs, das eigentlich kein richtiges Vorstellungsgespräch war, hatte er ein bisschen zu oft »Danke!« gesagt, als wären wir gekommen, um ihm einen Gefallen zu tun, und nicht wegen der Stelle, aber wir dachten, dass es sich nur um eine weitere merkwürdige Angewohnheit bei ihm handelte, wie die nicht gebundenen Schnürsenkel, die verschiedenfarbigen Socken oder der zerrissene Ärmel. Deswegen zerbrachen wir uns auch nicht weiter den Kopf, sondern stiegen wieder in die dunkle Wohnung der Signora hinunter, um das gelungene Vorstellungsgespräch zu feiern. Die einzige Lichtquelle der Wohnung ist die Verandatür des Wohnzimmers – des »guten Zimmers« –, die gleichzeitig der Wohnungseingang ist und auf die Hintertreppe hinausgeht, und wenn man ein wenig Privatsphäre haben will, muss man den Vorhang vorziehen. In der übrigen Wohnung ist es immer Nacht – in der Küche, im Bad und im Schlafzimmer –, weil die
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