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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben
Autoren: Maxime Chattam
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Bewegung stattgefunden, und auch seine Eltern und seine Geschwister hatten nichts von ihm gehört. Annabel führte ihr Leben allein weiter, mit Zweifeln und unendlich vielen Fragen, wann immer ihr Blick auf das zweite Kopfkissen fiel. Und daraus war ihre Besessenheit entstanden, an Fällen zu arbeiten, die mit Entführung oder Verschwinden in ihrem Zuständigkeitsbereich zu tun hatten, auch wenn sie eher selten waren und meist mit Streitigkeiten um das Sorgerecht zu tun hatten. Sie hoffte insgeheim, eines Tages auf den Namen ihres Mannes zu stoßen oder wenigstens auf den Beweis, dass er irgendwo kurz aufgetaucht war, um endlich Bescheid zu wissen. Die Wahrheit zu erfahren.
    Nicht mehr den Geschmack der Tränen wahrzunehmen.
    *
    Das Methodist Hospital nahm die Unbekannte mit dem roten Schädel auf, und Annabel ließ sich in der Eingangshalle neben einer Telefonzelle nieder. Trotz der späten Stunde wollte sie alle psychiatrischen Kliniken von New York anrufen, angefangen bei denen von Kingsboro, Ward Island und Dartmoor, um in Erfahrung zu bringen, ob eine Patientin aus diesen Einrichtungen geflohen war. Wie sie erwartet hatte, wurde bislang niemand vermisst. Gegend zwei Uhr morgens trat ein Arzt in grünem Kittel auf sie zu, nahm seine Brille ab und rieb sich die vom Schlafmangel schmerzenden Augen.
    »Ist ihre Identität noch immer nicht bekannt?«, fragte er skeptisch. Annabel antwortete mit einem Kopfschütteln. »Nun gut. Wir haben sie untersucht, sie steht unter Schock und erholt sich langsam von einer Unterkühlung, aber es geht. Sie ist im Moment nicht bei Bewusstsein.«
    Trotzdem schien er besorgt, was an den tiefen senkrechten Stirnfalten erkennbar war.
    »Sie hat ein bestimmtes Medikament in großen Mengen eingenommen«, fügte er hinzu, »doch anhand der Blutanalyse lässt sich bislang nicht feststellen, worum genau es sich handelt. Ich denke nicht, dass sie in Lebensgefahr schwebt, doch ich möchte Gewissheit haben. Morgen früh wissen wir mehr.«
    Die junge Frau nickte und vergrub die Hände in ihren Taschen; Kälte und Müdigkeit machten sich bemerkbar.
    »Ich frage mich, was mit ihr los ist, Doktor. Als ich diese … diese Verletzung an ihrem Kopf sah, habe ich fast gehofft, sie sei eine Geisteskranke, die aus der Anstalt ausgebrochen ist …«
    Der Arzt musterte sie und starrte auf seine Füße, bevor er antwortete: »Das ist äußerst unwahrscheinlich, Detective. Ich glaube nicht, dass sie sich das selbst zugefügt hat, ich meine diese« – er deutete auf seinen eigenen Schädel – »ihre Kopfhaut.«
    Er kämpfte das Unbehagen nieder, suchte nach Worten und fuhr dann fort: »Sie wurde vergewaltigt. Mehrfach. Die Verletzungen sind eindeutig, manche liegen mehrere Tage zurück. Wir haben sogar Sperma gefunden.«
    Annabel fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es bestand also kein Zweifel mehr daran, dass sie es mit einem Verbrechen zu tun hatten.
    »Wir haben eine Probe entnommen für Ihre DNA-Datenbank. Es gibt Spuren von zahlreichen Schlägen. Ihr Körper ist mit Ekchymosen übersät und vereinzelten Hämatomen und …«
    Er strich sich nachdenklich über die Nase.
    »Und was?«, fragte Annabel ungeduldig. »Gibt es noch etwas anderes?«
    »Sie … Sie trägt ein Zeichen auf der linken Schulter, eine Art Tätowierung.«
    »Gut. Das könnte uns bei der Identifizierung helfen. Wir machen morgen ein Foto.«
    »Nein, das meine ich nicht. Es handelt sich um eine ganz frische Tätowierung, die noch nicht einmal vernarbt ist, nur eine Blutkruste. Ich glaube, sie ist von Hand gemacht, vielleicht Tinte, die mit einer Nadel injiziert wurde, wie man es von Gefangenen kennt.«
    Annabels Miene verfinsterte sich plötzlich.
    »Und was stellt sie dar?«
    »Ich wollte sagen, dass man ihr das in den letzten Stunden beigebracht hat. Und es handelt sich auch nicht um eine Zeichnung, sondern um Zahlen, etwas höchst Bizarres. Moment, ich schreibe es Ihnen auf, dann ist es klarer.«
    Er nahm den Flyer einer Versicherungsgesellschaft, der auf dem Tisch lag, und schrieb auf der Rückseite eine kurze Folge von Ziffern auf, die er der jungen Frau überreichte:
    67-(3)

    Die diffusen Geräusche innerhalb des Krankenhauses schienen plötzlich intensiver zu werden – Gemurmel, Schritte auf dem Linoleum, elektronisches Summen.
    Annabel las zwei weitere Male, sie traute ihren Augen nicht. »Wann kann ich mit ihr sprechen?«
    »Das hängt nicht von mir ab. Morgen wahrscheinlich.«
    »Stellen Sie mir für den Rest der Nacht einen
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