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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben
Autoren: Maxime Chattam
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Unterbewusstsein von Albträumen bevölkert wurde. Mehr konnte man ohne sorgfältige Untersuchung nicht sagen, denn ihre Züge waren die einer entkräfteten Person zwischen Leben und Tod, der rote Schädel entmenschlichte sie.
    Wie auseinander driftende Kontinente auf einem Meer aus Feuer bedeckten dicke rote Krusten die Oberfläche, wo eigentlich Haare hätten sein müssen. Die Hirnschale mit ihrem kostbaren Schatz darin pochte in der trockenen Luft des Raumes.
    Man hatte sie skalpiert.
    Annabel wandte sich empört an ihren Kollegen.
    »Jack? Was hat sie hier zu suchen?« Trotz der Wut, die in ihr aufstieg, war sie bemüht, ihre Stimme gesenkt zu halten. »Sie gehört ins Krankenhaus!«
    Thayer hob beschwichtigend die Hand.
    »Ich weiß. Die Parkwächter haben sie hierher gebracht. Als sie im Revier anriefen, bin ich sofort gekommen und habe eine Ambulanz gerufen. Sie steht hinter der Villa für den Fall, dass sich ein Journalist in der Gegend herumtreibt. Das Mädchen wurde untersucht und wird in Kürze ins Methodist Hospital gefahren. Also beruhige dich. In weniger als zehn Minuten wird sie in den Händen eines kompetenten Arztes sein.«
    Annabels Blick sprach Bände. Das Mädchen musste schon fast eine Stunde hier sein!
    »Ist sie seit ihrer Ankunft zu Bewusstsein gekommen?«, fragte sie.
    »Nicht wirklich, sie fantasierte wie ein Junkie, als die Parkwächter sie fanden. Sie kroch über den Boden.«
    Annabel legte die Hand vor den Mund und wollte sich nicht vorstellen, welche Hölle diese Frau durchlebt hatte. Sie trat an das Bett und berührte ihr Gesicht – behutsam, mütterlich. Beim Kontakt mit der Haut verzog die Unbekannte den Mund und gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich. Annabel streichelte beruhigend ihre Wange, und die Frau mit dem roten Schädel fiel daraufhin in einen ruhigeren Schlaf. Soweit sie es einschätzen konnte, war die Verletzung nicht lebensbedrohlich, auch wenn die Gefahr einer Infektion bestand. Der Schnitt, den man ihr beigebracht hatte, war nicht sehr sauber. Mehrmals war die Klinge – wahrscheinlich die eines Skalpells – abgerutscht und hatte kleine purpurfarbene Einkerbungen hinterlassen. Dann musste die Kopfhaut vom Nacken bis zur Stirn abgezogen worden sein.
    »Wie haben diese Idioten glauben können, sie hätte sich selbst verstümmelt?«, meinte Annabel kopfschüttelnd. »Hast du nicht gesagt, der Parkwächter würde glauben, sie sei eine Geisteskranke?«
    Jack nickte ernst. Er nahm einen Gegenstand vom Tisch und reichte ihn seiner Kollegin.
    »Hier, deshalb. Das hatte sie in der Hand.«
    Annabel griff nach dem Plastikbeutel und verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse, als sie die schwarzen halblangen Haare sah, die an einem Hautfetzen hingen. Das Blut an der Unterseite war vollkommen trocken, der »Eingriff« lag also schon eine Weile zurück, doch man ahnte, dass der Täter ungeschickt vorgegangen war, weil an mehreren Stellen mehr Gewebe als notwendig entfernt worden war.
    »Mein Gott!«
    »Du sagst es. Hinzu kommt, dass sie offensichtlich geschlagen wurde. Nichts, was sie sich nicht selbst hätte zufügen können, doch ich glaube nicht, dass sie aus Dartmoor geflohen ist. Stanley Briggs, der sie gefunden hat, sagt, sie hätte die Augen verdreht wie eine Drogensüchtige, bevor sie zusammenbrach.«
    »Warum bist du so sicher, dass sie keine Geisteskranke ist?«, fragte Annabel, ohne es selbst zu glauben.
    »Sieh dir ihren Schädel an. Die Verletzung rührt von gestern oder vorgestern her und ist getrocknet. Das kann sie sich nicht in einer psychiatrischen Klinik zugefügt haben. Und es würde mich wundern, wenn sich eine Frau, nackt und mit einem Schädel in diesem Zustand, vierundzwanzig Stunden lang unbemerkt mitten in Brooklyn bewegen könnte.«
    Es folgte ein längeres Schweigen, bei dem beide einander musterten und insgeheim dieselben Schlüsse zogen.
    Als die Tür geöffnet wurde und zwei Männer mit einer Bahre erschienen, wich Annabel zurück und reichte Thayer den Plastikbeutel.
    »Gut. Gib dem Captain oder dem Dienst habenden Officer Bescheid, dass wir an der Sache dran sind. Ich begleite das Mädchen in die Klinik, und du gibst die Haare im Labor ab.«
    Jack nickte, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. Er sah gern, wie Annabel die Dinge in die Hand nahm. Dann strahlte sie die Entschlossenheit einer florentinischen Geliebten kurz vor dem letzten Akt eines Dramas aus. Schade, dass dazu immer so gravierende Umstände nötig sind, dachte er.
    Er wollte
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