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Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster
Autoren: Paul Gallico
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hinüber: «John, was hat das zu bedeuten? Was geht hier vor?»
    Isobel Paradine hatte sich ebenfalls erhoben und stand aufrecht vor dem Tisch, wobei ihr das helle Haar und das lange weiße Abendkleid das Aussehen einer silbernen Königin verliehen. Sie starrte unverwandt und verwundert auf den näherrückenden Sessel.
    Zu dem scharrenden Geräusch des Sessels auf dem Steinboden gesellte sich nun das Rascheln des Teppichs, der sich in Falten legte. Beth Paradine rief: «Onkel Richard, ich habe Angst!» Sir Richard Lockerie antwortete nicht, sondern umschloß ihre Hand fest mit der seinen. Es gab sehr wenig auf der Welt, was ihm Angst machte, doch er fühlte sich beunruhigt von diesem Ding, das sich ohne alles Zutun bewegte.
    Vier Kerzen in einem der drei großen neunarmigen Silberleuchter auf dem Tisch erloschen ganz plötzlich und ohne jede Ursache, und der blaue Rauch stieg senkrecht in die Höhe, denn es herrschte kein Durchzug in der großen Halle. Doch niemand nahm Notiz davon. Alle waren hypnotisiert von dem stetigen Näherrücken des schwarzen Sessels und warteten förmlich darauf, daß sich sogleich ein Unsichtbarer zu ihnen an den Tisch gesellen würde.
    «Hihihi», kicherte die kleine Noreen, «er kommt immer näher.»
    Major Howard Wilson brüllte: «Das ist doch die Höhe! Jemand spielt uns da einen Streich!» Er erhob sich, ging und blickte hinter den Sessel, um dann mit ganz veränderter Stimme auszurufen: «Bei Gott, da ist tatsächlich niemand!» Er zog sich hastig zurück und setzte sich, indem er die Backen aufblies. Seine blonde Frau vergaß ihre eigene Furcht für einen Moment und betrachtete ihren Mann mit einem Ausdruck offensichtlicher Verachtung.
    Lord Paradine erhob sich an seinem Tischende und schrie aufgebracht: «Was soll denn das heißen? Das dulde ich nicht in meinem Haus!» Er wollte sich auf den Sessel stürzen, doch Mrs. Geraldine Taylor, die sportliche, lebhafte, heiratslustige Witwe, legte eine Hand auf seinen Arm und sagte: «Vorsicht, Lord Paradine.» Dr. Everard Paul-son, der kleine Atomphysiker mit dem Gesicht eines Kapuzineräffchens neben ihr, fügte hinzu: «Seien Sie bitte vorsichtig, Sir. Wir stehen da auf der Schwelle zu etwas Übernatürlichem. Man kann nicht wissen, was...»
    Doch Lord Paradine ließ sich nicht zurückhalten, sondern marschierte auf den selbständig gewordenen Sessel zu. Mit sechsundfünfzig Jahren begann sich sein sandfarbenes Haar allmählich zu lichten. Außerdem hatte er bereits Fett angesetzt, und seine vorstehenden hellbraunen Augen und der kleine Mund mit dem Schnurrbart verliehen seinem Gesicht etwas Schmollendes. Doch er war alles andere als ein Schwächling. Er war ein einfacher Mann mit Grundsätzen und Mut, nicht besonders intelligent, doch ging er Problemen gern auf den Grund. Er trat hinter den Sessel und faßte ihn an der Lehne.
    «Bei Gott!» rief er erschüttert, doch keineswegs entmutigt. «Ich kann ihn nicht halten, das Ding ist lebendig geworden!»
    «Setz dich drauf, Onkel! Setz dich doch drauf!» rief Vetter Freddie, der sich nicht enthalten konnte, eine seiner geschmacklosen Bemerkungen zu machen.
    Mark sprang auf und rief: «Vater, warte! Ich helfe dir.» Doch seine Mutter legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte beschwörend: «Nein, Mark, nein. Rühr ihn nicht an!»
    Im gelben Licht des kerzenerhellten Saales leuchtete Lord Paradines Gesicht tiefrot vor Anstrengung. Alfred Jellicot, der kleine Weißwarenhändler aus Manchester, warnte: «Geben Sie acht, Sir! Lassen Sie die Hände von diesem Ding. Sehen Sie denn nicht, daß es verhext ist?»
    «Verdammt noch mal!» keuchte Lord Paradine, ohne nachzugeben.
    Vom entfernten Ende des Tisches, wo Lord Paradine gesessen hatte, beobachtete der Ingenieur Dean Ellison mit einem merkwürdigen Ausdruck auf dem viereckigen roten Gesicht, was vor sich ging. Man hätte schwören können, er schmunzle; doch vielleicht war es nur das Licht, das auf seinen Zügen spielte. Am entgegengesetzten Ende des Tisches hatte sich Pfarrer Harry Witherspoon erhoben. Auf seinem breiten Gesicht mischte sich Entsetzen mit Energie und Mut; er hob eine Hand und machte das Zeichen des Kreuzes in die Luft, während seine Lippen die Worte einer Geisterbeschwörungsformel murmelten, an die er sich mit Mühe erinnern konnte: «Allmächtiger Gott, steh uns bei, besiege diesen bösen Geist...»
    In diesem Augenblick begannen die Kerzen im Saal nacheinander zu verlöschen, eine, drei, bisweilen auch vier auf einmal. Die
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