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Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster
Autoren: Paul Gallico
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auf seinem Stuhl zurücklehnte und hinter den Rücken der Speisenden seiner Frau einen Blick zuwarf.
    Mr. Jellicot meinte wichtig: «Wenn sich einmal ein Poltergeist eingenistet hat, kann man nichts dagegen unternehmen. Ich habe sehr viel darüber gelesen und kenne mich...»
    «Man kann schon etwas dagegen tun, Sir», unterbrach ihn Pfarrer Witherspoon tadelnd. «Sie vergessen, daß es eine Macht gibt, der sich alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge beugen müssen.»
    Mr. Jellicot, der eine hohe Meinung von der Geistlichkeit hatte, nahm die Zurechtweisung schweigend und mit rotem Kopf hin. Und wieder legte sich peinliches Schweigen über die Tafelrunde. Dieses wurde plötzlich von dem schrillen, hohen Gekicher Noreen Spendley-Carters unterbrochen, die neben Vetter Freddie und ihrer Mutter gegenüber saß.
    Noreen war mit ihren zwölf Jahren ein unglaublich häßliches Kind mit unregelmäßigen Zügen, einem zu großen Mund, zu großen Ohren, Sommersprossen und fahler Haut. In dem Bestreben, sie zum Dinner etwas hübscher zu machen, hatte die Mutter ihr strähniges schwarzes Haar gekräuselt und sie in ein rosa Taftkleid mit einem steifen Unterrock gesteckt. Sogar die Wangen und Lippen hatte sie ihr leicht geschminkt, was dem Kind ein clownhaftes Aussehen verlieh.
    Alles war höchst verwundert über ihren Heiterkeitsausbruch, für den kein Grund vorhanden zu sein schien. Niemand hatte etwas Lustiges oder Komisches gesagt.
    Wiederum begann sie durchdringend zu kichern, obwohl die Mutter ihr einen strafenden Blick zuwarf und streng rief: «Benimm dich, Noreen!» Aller Augen wandten sich dem Kind zu und sahen, daß die Kleine wie gebannt über den Tisch auf die andere Seite des Raumes starrte. Dann deutete sie mit der mageren Hand über die Schulter ihrer Mutter und rief: «Da, guck mal!»
    Ihr häßliches kleines Gesicht strahlte vor Freude und Aufregung, als einer der mächtigen geschnitzten Lehnsessel, der fest wie ein Thron an der Seitenwand des Speisesaales gestanden hatte, sich von selbst zu bewegen begann und mit scharrendem Geräusch über die gebohnerten Steinfliesen auf den Tisch zurutschte.
    Ein Schauer des Entsetzens überlief die Anwesenden. Gläubige und Ungläubige, Zyniker, Realisten und Treuherzige sahen sich in diesem schrecklichen Augenblick in ihren Befürchtungen und Zweifeln einig. Ihre Nerven, von den vorhergehenden Ereignissen bereits sehr angegriffen, waren zum Zerreißen gespannt.
    Die Ansichten und Überzeugungen der Zyniker wurden vor ihren eigenen Augen widerlegt; für die Abergläubischen paarte sich der Beweis mit Angst. Der Sessel hätte sich nicht ohne jedes sichtbare menschliche Eingreifen von der Stelle rühren dürfen, und doch schien er sich an jenem Abend des 8. Juli in dem vierhundert Jahre alten Paradine Hall zu Norfolk selbständig fortzubewegen.
    Später würde man vielleicht vernünftige Erklärungen für das Phänomen finden oder es einfach als eine Sinnestäuschung abtun; doch im Augenblick waren alle vor Schreck gebannt über diesen Sessel, der da aus den dunklen Schatten geschlittert kam und sich an keinerlei physikalische Gesetze hielt.
    Die Situation wurde durch Noreens entzücktes Gekicher und den plötzlichen Schrei ihrer Mutter: «Er kommt auf mich zu — Hilfe!» noch dramatischer. Spendley-Carter wies sie scharf zurecht: «Sylvia! Nimm dich zusammen, du bist ja hysterisch!»
    Der Hauptgang war schon serviert. Weder der Butler, seine Frau noch sonstiges Personal befand sich in der großen Halle. Die Gäste am Tisch waren mit der Erscheinung allein und schauten mit bleichen Gesichtern zu, wie der Sessel sich langsam vorwärtsbewegte. Mit scharrendem Geräusch kam er über die Fliesen bis an den Rand des schweren Teppichs, den er in Falten vor sich herschob.
    , sagte Susan Marshall zu sich selber, und doch schlug ihr Herz zum Zerspringen, denn sie dachte an die kalte Hand, die sie drei Nächte zuvor, während sie schlief, an der Kehle gepackt hatte, und an die geisterhafte Gestalt der Nonne, die aus der Schlafzimmertür huschte, obgleich diese sich nachher nicht öffnen ließ, an die Lampe, die nicht brennen wollte, und an den Schrecken jener Begegnung mit dem Unbekannten. All dies wurde ihr plötzlich wieder gegenwärtig.
    Lady Paradine, deren fuchsrotes Haar im Kerzenlicht schimmerte, erhob sich halb von ihrem Platz am Ende des langen Tisches, zerknüllte ihre Serviette und rief zu ihrem Mann
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