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Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster
Autoren: Paul Gallico
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sich behalten wollten, was als erster glaubwürdiger Fall übersinnlicher Erscheinungen in moderner Zeit betrachtet werden konnte.
    Die Familie Paradine selbst jedoch schwieg aus naheliegenden Gründen über das, was sich im Westflügel zutrug, wo sie und ihre Freunde wohnten: über die Verwüstung des Zimmers von Isobel Paradine, über das geheimnisvolle Spiel der Harfe, das nachts im unbenützten und verschlossenen Musikzimmer ertönte, und über den Schrecken, der der jungen Amerikanerin, einer Freundin der Tochter des Hauses, eingejagt wurde.
    Der private Westflügel war mit den Gästezimmern des Country Clubs im Ostflügel nur durch den großen prunkvollen Speisesaal verbunden, der den einzigen Treffpunkt bildete; denn es war üblich, daß die Familie und die Gäste dort jeden Abend gemeinsam speisten.
    Die Familie Paradine hütete sich, das Geheimnis zu lüften; doch Geflüster und Gerüchte vereitelten ihr Bemühen, und als der Poltergeist aus dem Westflügel in den östlichen hinüberwechselte und auch den Mitgliedern des Country Clubs seine üblen Streiche zu spielen begann, war es aus mit der Heimlichkeit.
    Doch erst später, während des entsetzlichen Dinners, an dem auch Pfarrer Harry Witherspoon von der St. Dunstan-Kirche in East Walsham und Dr. Winters teilnahmen, wurde den Anwesenden bewußt, daß sich hinter den Erscheinungen eine unheimliche, ja vielleicht tödliche Gefahr verbarg.
    Dies warf ein völlig anderes Licht auf die Angelegenheit und führte dazu, daß Mr. Alexander Hero, Parapsychologe, Erforscher des Übersinnlichen und Geisterbanner, auf den Plan gerufen wurde.
    Vor dem 29. Juni, als das unheimliche Geschehen seinen Anfang nahm, fegte zwei Tage lang ein orkanartiger Nordoststurm über die Gegend; doch hatten sich die Winde, die an Fensterladen und Türen rüttelten, die heulend und wehklagend um Hausecken und Giebel pfiffen und ächzend in die Schornsteine fuhren, bereits gelegt, als mitten in der Nacht das große Mahagonibett, in dem Isobel Paradine schlief, heftig erbebte und die Decken zu Boden rutschten. Sie schrak in der Dunkelheit auf mit dem Gefühl, es befinde sich jemand im Zimmer, und glaubte, ihr Bruder oder ihre Schwägerin hätten sie geweckt, weil im Haus etwas passiert sei.
    Sie griff instinktiv nach der Bettdecke, doch diese rutschte wiederum zu Boden. Dann wurde sie gewahr, daß sich im Zimmer nichts rührte und daß außer ihrem eigenen Atem nichts zu hören war; sie knipste, nun ganz wach, die Nachttischlampe an. Die Tür war zu und außer ihr niemand im Zimmer.
    Sie setzte sich in dem riesigen Bett auf, in dem schon ihr Vater, dessen Vater und Großvater geschlafen hatten und in dem Thomas Lord Paradine gestorben war; denn dies war früher sein Zimmer gewesen. Ein Jahr nach seinem Tode hatte sie es bezogen, und niemand hatte ihr das Recht streitig gemacht, nicht einmal ihr Bruder John, der jetzige Lord.
    Sie zog eine leichte Bettjacke an und wartete. Sie war eine beherrschte, intelligente und furchtlose Frau. Das Zimmer war leer, und doch wiederum nicht. Irgend etwas war da, etwas Unsichtbares, was sich rührte und bewegte. Sie blieb ruhig sitzen und versuchte sich zu erinnern, was sie von guten und bösen Geistern, Erscheinungen und Phantomen wußte, die durch die Jahrhunderte im Schloß von sich reden gemacht hatten. Diese Gedanken brachten sie jedoch keineswegs aus dem Gleichgewicht. Sie war auf alles gefaßt, was noch kommen mochte.
    Wenn etwas in dem Zimmer Ähnlichkeit mit einem Gespenst hatte, so war sie es selbst in ihrem weißen Nachthemd, mit den hellen graugrünen Augen in dem hakennasigen, sonnengebräunten Gesicht und mit dem silbernen Haar, das ihr lose auf die Schultern fiel. Sie war eine würdevolle, beeindruckende Erscheinung, eine große, eckige Frau von zweiundvierzig Jahren — eckig, da die Liebe ihre Formen nie gerundet und gereift hatte. Ihr Haar war immer so blond gewesen, daß es fast weiß wirkte. Die typischen Merkmale der Paradines, die vorstehenden Augen und der zu kleine Mund, waren bei ihr weniger ausgeprägt, und ihre schmalen, beweglichen Lippen drückten bisweilen Schwermut aus. Sie war unverheiratet geblieben und hatte ihr Leben dem verstorbenen Vater gewidmet, dessen Porträt in der Uniform eines Gardeobersten aus dem Ersten Weltkrieg sie mit den vorstehenden Paradine-Augen von der gegenüberliegenden Wand anstarrte.
    In diesem riesigen und hohen Zimmer, das mit seinen alten Möbeln und Kunstgegenständen an ein Museum erinnerte,
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