Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
drei neunarmigen Paradine-Leuchter auf dem Tisch trugen siebenundzwanzig, die Wandarme an drei Seiten des dunkelgetäfelten Saales sechsunddreißig Kerzen. Zu beiden Seiten der Orchestergalerie leuchteten je sechs und tauchten die schweren Vorhänge über den Köpfen der Anwesenden in trübes Licht.
    Die Kerzen wurden nicht etwa ausgelöscht oder ausgeblasen; die Flammen sanken in sich zusammen und gingen aus. Mit dem Verlöschen der Lichter tauchten drohende Schatten aus den dunklen Winkeln des Raumes auf. Mrs. Spendley-Carter wurde von Panik ergriffen und stieß einen durchdringenden Schrei aus, der selbst das hohe Gekicher ihrer Tochter übertönte. Dann folgte der zornige Ruf von Major Wilson: «Das Licht an! Was, zum Teufel, ist mit dem Licht los?» Und das laute Organ von Spendley-Carter sekundierte: «Was soll das? Wer da Lichterlöschen spielt, soll gefälligst aufhören!» Der dicke kleine Mr. Jellicot jammerte: «Oh, jetzt gehen alle aus.»
    Denn die Kerzen fuhren fort, mit merkwürdiger Regelmäßigkeit auszugehen, als würden sie von unsichtbaren Fingern gelöscht. Nur ein paar wenige brannten noch im Kandelaber am anderen Ende des Tisches und beleuchteten die blassen, erschreckten Gesichter von Lady Paradine und ihrer Tochter Beth, die ungläubige Miene von Sir Richard Lockerie und die glänzenden Augen von Susan Marshall. Dann gingen auch diese aus.
    Nun brannten nur noch zwei Kerzen in einem Wandarm links von der Orchestergalerie. Dr. Paulson, der seinen Platz in der Nähe von Lord Paradine hatte, sprang auf und deutete auf die Galerie. «Die Nonne! Die Nonne!» rief er. Aller Augen wandten sich vom verhexten Sessel und dem Mann, der sich damit abmühte, zur Galerie hinauf. Waren es nur die Vorhänge, oder stand dort wirklich die drohende Gestalt der Nonne in einem weiten Umhang mit Kapuze?
    Major Wilson brüllte: «Wo, zum Teufel? Ich sehe nichts»; doch die dicke grauhaarige Witwe, Mrs. Taylor, sprang auf und rief: «Dort! Dort! Ich sehe sie.» Dann sahen sie sie alle. Unbeweglich, unheimlich schien sie die Tafelrunde aus den Schatten, die sie halb in Dunkelheit hüllten, zu überblicken.
    Aus der Finsternis drang die sarkastische Stimme von Isobel Paradine: «Glaubt ihr jetzt endlich daran?» Und damit erloschen auch die letzten zwei Kerzen, und es wurde stockfinster im Saal.
    Nun wurde alles von Panik erfaßt. Lord Paradine stieß eine Verwünschung aus, und dann ließ sich ein Krachen vernehmen, als sei er, der Sessel oder alle beide zu Boden gestürzt. Die Frauen kreischten, als mehr Stühle umfielen, Silber und Messer klirrten und Glas und Geschirr zerbrach.
    Über dem Tumult erhoben sich zwei Stimmen, die von Isobel Paradine, die befahl: «Huggins! Huggins, kommen Sie sofort herein und schalten Sie das Licht an!» Und die von Sir Richard Lockerie, die streng und energisch den Höllenlärm übertönte: «Beruhigen Sie sich! Nehmen Sie sich zusammen! Sie haben nichts zu fürchten! Bitte, keine Aufregung!» Dann war ein leichter Luftzug zu verspüren, und es näherten sich eilige Schritte. Jemand rief: «Licht! Licht! Schalten Sie das Licht an!»
    Ein Lichtstrahl drang aus dem Anrichteraum herein, als der Butler die Tür aufriß. Er stutzte zuerst über die Finsternis und das Durcheinander, tastete sich dann aber, so rasch er konnte, zum Schalter hinüber. Der große elektrische Kronleuchter erhellte schlagartig den ganzen Raum und blendete die Anwesenden so, daß sie nur ganz allmählich wieder sehen konnten.
    Lord Paradine lag auf dem Rücken unter dem Sessel am Boden. Er war nicht verletzt, nur außer Atem und sehr zornig. Der dicke Mr. Jellicot war, die schwarze Krawatte hinter dem Ohr, auf den Tisch geklettert vor Angst. Sylvia Spendley-Carter war ohnmächtig zu Boden gesunken, und ihr Schwerfälliger, grober Mann stand da und starrte sie an, ohne Anstalten zu machen, ihr zu helfen, bis der Arzt aufsprang und an ihre Seite eilte. Von der Musikgalerie vernahm man ein Rascheln und eine Stimme, und alle Augen blickten hinauf. Isobel stand oben und hielt mit theatralischer Gebärde die Vorhänge auseinander wie eine Schauspielerin. Ihr Haar, Gesicht und Kleid leuchteten im hellen Licht. Sie rief: «Es ist niemand da, die Galerie ist leer!»
    Sir Richard Lockerie fügte beruhigend hinzu: «Sehen Sie, Sie brauchen keine Angst zu haben. Es war alles ein unglücklicher Zufall.» Er überblickte das Durcheinander im Saal mit derselben Beherrschtheit und Kaltblütigkeit, mit der er während des Krieges
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher