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Imagica

Imagica

Titel: Imagica
Autoren: Clive Barker
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Schwanz beglückte. Wichtig war nur, daß sie Bescheid wußte. Als er mittags aus dem Haus gegangen war, hatte er geglaubt, bei der Rückkehr eine Frau vorzufinden, die sehr an ihm hing. Statt dessen erwarteten ihn leere Zimmer.
    Zacharias konnte bei den sonderbarsten Gelegenheiten sentimental werden. Zum Beispiel jetzt, als er durch die Räume wanderte und jene wenigen Dinge einsammelte, die Vanessa nicht mitgenommen hatte: ein Notizbuch; Kleidung, ausnahmsweise mit seinem eigenen Geld bezahlt; die zweite Brille; Zigaretten. Ihn verband keine Liebe mit Vanessa, doch er bedauerte, daß nun mehr als ein Jahr angenehmer Zweisamkeit zu Ende ging. Auf dem Boden des Eßzimmers entdeckte er einige Objekte, die ihn daran erinnerten: mehrere Schlüssel, die zu keinem Schloß im Haus gehörten; die Bedienungsanleitung eines Mixers, der ihnen viele mitternächtliche Margaritas geschenkt hatte; eine kleine Plastikflasche mit Massageöl. Nicht viel. Aber Gentle wußte, daß ihre Beziehung über die Summe dieser Teile hinausgegangen war. Nach dem von Vanessa gezogenen Schlußstrich lautete die Frage: Wohin sollte er sich jetzt wenden? An Martine, eine verheiratete Frau in mittleren Jahren, deren Gatte - ein Bankier - jeweils drei Tage pro Woche in Luxemburg verbrachte, wodurch sie genug Zeit bekam, sich mit anderen Männern zu vergnügen? Manchmal behauptete sie, Gentle zu lieben, aber ihren Beteuerungen fehlte es an Nachdruck, und deshalb zweifelte er an ihrer Bereitschaft, sich für ihn scheiden zu lassen. Außerdem wußte er nicht, ob ihm etwas daran lag, sie zu heiraten. Er kannte sie jetzt seit acht Monaten - Gentle entsann sich an ihre erste 21

    Begegnung während einer von Vanessas älterem Bruder Williams veranstalteten Dinnerparty -, und sie hatten sich nur einmal gestritten. Doch jener Streit war sehr aufschlußreich gewesen. Martine warf ihm vor, immerzu andere Frauen zu beobachten, als plante er in Gedanken bereits neue Eroberungen. »Vielleicht deshalb, weil mir nicht genug an dir liegt«, erwiderte Zacharias ehrlich und gab ihr recht. Er war verrückt nach dem anderen Geschlecht. Wenn er eine Zeitlang ohne weibliche Gesellschaft auskommen mußte, fühlte er sich krank, nur feminine Präsenz erfüllte ihn mit seliger Wonne.
    Martine hielt Gentles Besessenheit für interessanter als die ihres Mannes, der sich nur für Geld begeistern konnte, aber sie bezeichnete sein Verhalten trotzdem als neurotisch. Warum eine endlose Jagd? fragte sie. Er wich ihr aus und meinte nur, daß er eben noch immer die ideale Frau suche. Tief in seinem Innern gestand er sich den Unsinn dieser Bemerkung ein. Er kannte die Wahrheit aber sie war zu bitter, um in Worte gekleidet zu werden. Im Grunde genommen lief es auf folgendes hinaus: Er kam sich bedeutungslos, leer und wie unsichtbar vor, wenn er nicht das sexuelle Interesse von Frauen weckte. Ja, er wußte um die attraktiven Züge seines Gesichts: eine hohe, breite Stirn, der Blick gefühlvoll, die Lippen so beschaffen, daß selbst ein höhnisches Grinsen reizvoll wirkte.
    Aber er brauchte lebende Spiegel, die ihn immer wieder darauf hinwiesen. Mehr noch: Vielleicht sah ein solcher Spiegel etwas in ihm, das nur ein anderes Augenpaar erkennen konnte - ein bisher unentdecktes Selbst, einen anderen Zacharias, der ihn von der Notwendigkeit befreite, weiterhin Gentle zu sein.
    Wenn sich Zacharias allein und verlassen fühlte, beschloß er häufig, Chester Klein zu besuchen, und das war auch diesmal der Fall. Klein galt als Mäzen und behauptete stolz, von verärgerten Anwälten aus mehr Biographien verbannt worden zu sein als sonst jemand seit Byron. Er wohnte in Notting Hill Gate, in einem Haus, das er gegen Ende der fünfziger Jahre 22

    günstig gekauft hatte. Jetzt verließ er es nur noch selten, weil er an Agoraphobie litt, beziehungsweise »an der völlig rationalen und vernünftigen Furcht vor Leuten, die ich nicht erpressen kann«, wie er sich ausdrückte.
    Vom Zentrum seines kleinen Herzogtums aus gelang es ihm, recht erfolgreich zu sein. Klein ging Geschäften nach, die einige gute Kontakte erforderten sowie Spürsinn für die Entwicklung des Marktes und das Talent, Freude über die eigenen Leistungen zu verbergen. Kurz gesagt: Er handelte mit Fälschungen, und diese besondere Kunst hatte er bis zur Perfektion entwickelt. Einige seiner Vertrauten warnten ihn vor drohendem Verderben, aber sie - oder ihre Vorgänger -
    prophezeiten Kleins Ruin schon seit drei Jahrzehnten, und er
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