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Imagica

Imagica

Titel: Imagica
Autoren: Clive Barker
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verdiente noch immer eine Menge Geld, ohne daß ihm jemand auf die Schliche kam. Jene Koryphäen, die er im Lauf der Jahre in seinem Haus empfangen hatte - enttäuschte Tänzer, abtrünnige Spione, publikumssüchtige Debütanten, Rockstars mit messianischen Tendenzen, Bischöfe, die Straßenhändler als Beispiele der Tugend priesen -, errangen den erhofften Ruhm, doch es dauerte nie lange bis zu ihrem Niedergang. Klein hingegen blieb immer oben. Wenn sein Name doch einmal in einem Skandalblatt auftauchte oder in einer bekennenden Biographie Erwähnung fand, so bezeichnete man ihn immer als Schutzheiligen für verlorene Seelen.
    Gentle hielt sich für eine solche verlorene Seele und wußte daher, daß er bei Klein willkommen war. Aber nicht nur dieser Grund veranlaßte ihn dazu, sich auf den Weg zu machen, Chester brauchte immer für die eine oder andere Sache Geld, was bedeutete: Er benötigte Maler. Das Haus bei Ladbroke Grove bot nicht nur Trost, sondern auch Arbeit. Seit elf Monaten hatte Gentle nicht mehr mit Klein gesprochen, doch er wurde auf die übliche überschwengliche Weise begrüßt.
    »Kommen Sie herein, schnell.« Klein winkte. »Gloriana ist wieder rollig!« Er schloß die Tür, bevor Gloriana - eine seiner 23

    fünf Katzen - entkam und mit der Suche nach einem Kater beginnen konnte. »Zu langsam, Schätzchen!« Er lächelte triumphierend, und Gloriana miaute traurig. »Sie wird immer dicker, und ich unternehme nichts dagegen - damit sie langsam bleibt. Außerdem komme ich mir dadurch weniger verfressen vor.«
    Er klopfte sich auf einen Bauch, der seit ihrer letzten Begegnung erheblich gewachsen war und der sich unter einem bunten Hemd spannte, das - wie er selbst - schon bessere Tage gesehen hatte. Klein trug das lange Haar noch immer als Pferdeschwanz, und an seiner Halskette baumelte ein Henkelkreuz, Lebenssymbol der alten Ägypter. Doch unter der Patina des in die Jahre gekommenen Blumenkinds lauerte die Raffgier einer Elster. Die Gegenstände im Vestibül, wo sich die beiden Männer gegenüberstanden, spiegelten Chesters Sammelleidenschaft wider: hier ein hölzerner Hund, dort Kunststoffrosen in psychedelischer Fülle, an einer anderen Stelle Totenköpfe aus Marzipan und Zucker.
    »Meine Güte, Sie zittern ja vor Kälte«, sagte Chester. »Und Sie sehen miserabel aus. Wer hat Sie durch die Mangel gedreht?«
    »Niemand.«
    »Und die Ringe unter den Augen?«
    »Ich bin nur müde.«
    Gentle streifte den dicken Mantel ab, legte ihn auf einen Stuhl neben der Tür und wußte: Wenn er ihn später wieder anzog, war er warm und voller Katzenhaare. Klein befand sich bereits im Wohnzimmer und füllte Gläser mit Wein - immer roter, nie weißer.
    »Achten Sie nicht auf den Fernseher«, sagte er. »Ich lasse ihn jetzt dauernd eingeschaltet. Der Trick besteht darin, den Ton ganz herunterzudrehen. Ist alles viel unterhaltsamer, wenn man nichts hört.«
    Eine neue Angewohnheit. Und sie lenkte ab. Gentle nahm 24

    ein Glas entgegen, ließ sich in die Ecke der ausgesessenen Couch sinken und hoffte, dort den Verlockungen der Mattscheibe zu widerstehen. Trotzdem wanderte sein Blick gelegentlich zur Glotze.
    »Nun, Bastard Boy...«, sagte Klein. »Welcher Katastrophe verdanke ich die Ehre Ihres Besuchs?«
    »Es ist keine Katastrophe im eigentlichen Sinne. Ich habe nur einige unangenehme Dinge hinter mir und sehnte mich nach angenehmer Gesellschaft.«
    »Lassen Sie die Finger davon, Gentle«, meinte Chester.
    »Wovon?«
    »Das wissen Sie genau. Vom schönen Geschlecht. Folgen Sie meinem Beispiel und geben Sie's auf. Es ist eine große Erleichterung. All die verzweifelten Bemühungen... Soviel Zeit, die man damit verschwendet, an den Tod zu denken - um nicht zu früh zum Orgasmus zu kommen. Lieber Himmel, ich habe das Gefühl, als sei mir eine schwere Last von den Schultern genommen.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Das Alter hat damit überhaupt nichts zu tun. Ich habe die Frauen aufgegeben, weil sie mir das Herz brachen.«
    »Ihr Herz?«
    »Sie begreifen noch immer nicht, wie's läuft, Gentle. Oh, sicher, Sie jammern und klagen, aber anschließend vergessen Sie alles und begehen die gleichen Fehler. Es ist anstrengend und ermüdend. Die Frauen sind anstrengend und ermüdend.«
    »Retten Sie mich.«
    »Ah, jetzt kommt's.«
    »Ich habe kein Geld.«
    »Ich auch nicht.«
    »Sorgen wir gemeinsam dafür, daß die Kasse klingelt. Dann brauche ich mich von niemandem mehr aushalten zu lassen.
    Ich wohne wieder im Atelier, Klein.
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