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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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erwarten, daß man ihn einließ.
    »William Monk ist mein Name.« Er holte eine Karte hervor, auf der Name und Adresse, nicht aber sein Beruf stand. »Ich bin ein Bekannter von Mr. Albert Finnister aus Halifax, der meines Wissens nach ein Cousin von Mrs. Penrose und Miss Gillespie ist. Und da ich gerade in der Gegend war, habe ich mich gefragt, ob ich den Damen nicht meine Aufwartung machen soll.«
    »Mr. Finnister, sagten Sie, Sir?«
    »Ganz richtig, aus Halifax in Yorkshire.«
    »Wenn Sie im Damenzimmer warten möchten, Mr. Monk. Ich werde sehen, ob Mrs. Penrose zu Hause ist.«
    Die Einrichtung des genannten Zimmers war bequem und von einer Sorgfalt, die einen wohlgeführten Haushalt erkennen ließ. Nichts, was auf unnötige Ausgaben wies. Der Schmuck des Raums bestand aus einem selbstgefertigten Sticktuch in einem bescheidenen Rahmen, dem Druck einer romantischen Landschaft und einem wirklich exquisiten Spiegel. Die Lehnen der Sessel wurden von frisch gewaschenen Schonern geschützt, und die Armlehnen zeigten die Spuren der zahllosen Hände, die sich an ihnen gerieben hatten. Unverkennbar führte von der Tür zum Kamin eine Spur über den Teppich. Auf dem niederen Tisch stand eine Vase mit nett arrangierten Margeriten, die dem Raum eine angenehm weibliche Note gab. Am Bücherschrank hatte man einen der Messingknöpfe durch einen etwas anderen ersetzt. Im großen und ganzen war es ein angenehmer, wenn auch sicher kein außergewöhnlicher Raum, der weniger beeindrucken als gemütlich sein sollte.
    Die Tür öffnete sich, und das Dienstmädchen ließ ihn wissen, daß Mrs. Penrose und Miss Gillespie entzückt wären, ihn zu empfangen, wenn er sich in den Salon bemühen wollte.
    Gehorsam folgte er dem Mädchen zurück über den Flur in einen größeren Raum, nur daß er diesmal keine Zeit hatte, sich umzusehen. Julia Penrose stand am Fenster in einem rosefarbenen Nachmittagskleid, auf dem Sofa saß eine junge Frau von achtzehn, neunzehn Jahren, in der er Marianne vermutete. Trotz ihres von Natur aus dunkleren Teints wirkte sie ausgesprochen blaß. Das fast schwarze Haar setzte auffallend spitz in der Mitte der Stirn an. Außerdem hatte sie hoch auf dem linken Backenknochen ein kleines Muttermal, an einer Stelle, die die Dandys aus der Zeit des Prinzregenten Monks Ansicht nach wohl als »galant« bezeichnet hätten. Ihre Augen waren tiefblau.
    Julia trat lächelnd auf ihn zu. »Schön, Sie zu sehen, Mr. Monk. Wie charmant von Ihnen, uns zu besuchen«, sagte sie für das Dienstmädchen. »Dürfen wir Ihnen eine Erfrischung anbieten? Janet, bringen Sie doch bitte Tee und Gebäck. Sie mögen doch Gebäck, Mr. Monk?«
    Er nahm höflich an, aber sobald das Mädchen gegangen war, ließ man das Versteckspiel sein. Julia stellte Monk Marianne vor und forderte ihn auf, sich an die Arbeit zu machen. Sie selbst stellte sich hinter den Stuhl ihrer Schwester und legte ihr eine Hand auf die Schulter, als solle etwas von ihrer Kraft und Entschlossenheit auf sie übergehen.
    Monk hatte nur einmal mit einem Fall von Vergewaltigung zu tun gehabt. Ein solches Verbrechen wurde wegen der Schande und des Skandals nur äußerst selten zur Anzeige gebracht. Er hatte sich seine Gedanken gemacht, wie er die Sache angehen sollte, wußte es aber noch nicht so recht.
    »Bitte, erzählen Sie mir doch, woran Sie sich erinnern, Miss Gillespie«, sagte er leise. Er wußte nicht, ob er lächeln sollte.
    Womöglich legte sie ihm das als Leichtfertigkeit und mangelndes Mitgefühl aus. Andererseits, wenn er nicht lächelte, das wußte er, schaute er ziemlich grimmig drein.
    Sie schluckte und räusperte sich. Julias Griff auf ihrer Schulter verstärkte sich.
    »Ehrlich gesagt, Mr. Monk, erinnere ich mich an nicht allzuviel«, entschuldigte sie sich. »Es war äußerst… unangenehm. Zuerst habe ich es zu vergessen versucht. Vielleicht können Sie das nicht verstehen, und möglicherweise bin ich selbst daran schuld, aber mir war einfach nicht klar…« Sie verstummte.
    »Das ist ganz natürlich«, versicherte er ihr mit mehr Aufrichtigkeit, als sie ahnen konnte. »Wir versuchen alle zu vergessen, was zu sehr schmerzt. Es ist manchmal die einzige Möglichkeit weiterzuleben.«
    Ihre Augen wurden vor Überraschung ganz groß, und eine leichte Röte legte sich auf ihre Wangen. »Wie feinfühlig von Ihnen.« Ihr Gesicht zeigte eine tiefe Dankbarkeit, ihre Anspannung freilich legte sich nicht.
    »Was können Sie mir darüber erzählen, Miss Gillespie?« fragte er
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