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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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seine Moral anbelangt?« Rathbone hörte, wie er in gespielter Entrüstung laut wurde. »Falls dem so ist, dann bringen Sie ihn besser vor, Madam, oder Sie hören mit diesen Anspielungen auf!«
    »Ich stehe unter Eid«, sagte sie ganz leise, ohne dabei jemanden anzusehen. »Ich weiß, daß er bei vielen Frauen Abtreibungen vorgenommen hat, gegen Geld. Ich weiß das genau, weil ich diejenige war, die sie an ihn verwiesen hat.«
    Es herrschte eine absolute, knisternde Stille. Niemand bewegte sich. Nicht einmal ein Atemzug war zu hören.
    Rathbone wagte nicht, zur Anklagebank hinaufzusehen. Er tat, als könne er es nicht glauben. »Was?«
    »Ich war die Person, die Hilfesuchende an ihn weiterverwiesen hat«, wiederholte sie langsam und deutlich.
    »Ich nehme an, man muß das unmoralisch nennen. Aus Barmherzigkeit mag es vielleicht fragwürdig sein – aber gegen Bezahlung…« Sie ließ die Worte in der Luft hängen.
    Hardie starrte Berenice an. »Das ist eine ernste Beschuldigung, Lady Ross Gilbert. Wissen Sie, was Sie da sagen?«
    »Ich denke schon.«
    »Aber als Sie das erste Mal im Zeugenstand waren, haben Sie nichts davon gesagt!«
    »Das brauchte ich nicht. Man hat mich nicht gefragt.«
    Seine Augen verengten sich. »Wollen Sie uns damit sagen, Madam, Sie waren so naiv, daß Sie keine Vorstellung von der Bedeutung dieser Aussage hatten?«
    »Es schien mir nicht wichtig«, antwortete sie mit einem leichten Zittern in der Stimme. »Der Staatsanwalt behauptete, Schwester Barrymore hätte Sir Herbert zu einer Heirat zu zwingen versucht. Ich weiß, daß das absurd ist. Sie hätte so etwas nie getan. Ebensowenig wie er sich so verhalten hätte. Ich wußte das damals, und ich weiß es jetzt.«
    Sir Herbert war aschfahl geworden und warf Rathbone einen verzweifelten Blick zu.
    Rathbone ballte die Fäuste so fest, daß sich seine Nägel ins Fleisch gruben. Wieder drohte ihm alles zu entgleiten. Es war nicht genug, Sir Herbert der Abtreibung anzuklagen! Er war des Mordes schuldig! Und er konnte dafür kein zweites Mal vor Gericht gestellt werden!
    Er trat einige Schritte vor. »Sie sagen also keinesfalls, daß Prudence Barrymore von alledem wußte und Sir Herbert erpreßt hat? Das sagen Sie doch nicht – oder?« Es war eine berechnende Herausforderung.
    Lovat-Smith erhob sich halb, noch immer verwirrt. »Euer Ehren, würden Sie meinen verehrten Kollegen anweisen, die Zeugin alleine antworten zu lassen und nicht zu interpretieren, was sie gesagt oder nicht gesagt hat.«
    Rathbone konnte die Spannung kaum noch ertragen. Er wagte nicht noch mal einzugreifen. Er durfte nicht den Eindruck erwecken, seinen eigenen Mandanten zu verurteilen. Er wandte sich an Berenice. Gebe Gott, daß sie die Gelegenheit wahrnahm!
    »Lady Ross Gilbert?« forderte Hardie sie auf.
    »Ich… ich weiß die Frage nicht mehr«, sagte sie unglücklich. Rathbone antwortete, noch bevor Hardie die Frage wiederholen und damit entschärfen konnte.
    »Sie sagen also nicht, daß Prudence Barrymore Sir Herbert erpreßt hat, nein?« fragte er, seine Stimme lauter und schärfer als beabsichtigt.
    »Doch«, sagte sie leise. »Sie hat ihn erpreßt.«
    »Aber«, protestierte Rathbone, als wäre er entsetzt, »Sie haben doch gesagt… warum, um Himmels willen? Sie sagten doch selbst, sie hatte nicht den Wunsch, ihn zu heiraten!«
    Mit ohnmächtigem Haß starrte Berenice ihn an. »Sie wollte, daß er ihr zum Medizinstudium verhalf. Das fußt nicht auf persönlichen Beobachtungen, ich konnte bestenfalls darauf schließen. Sie können mich also nicht anklagen, nur weil ich es für mich behalten habe.«
    »Ssie anklagen?« stammelte Rathbone.
    »Um Himmels willen!« Sie beugte sich über die Brüstung des Zeugenstandes, das Gesicht wutverzerrt. »Sie wissen, daß er sie umgebracht hat! Sie müssen diese Farce nur mitspielen, weil Sie ihn verteidigen müssen. Machen Sie ruhig weiter! Bringen Sie’s hinter sich!«
    Rathbone wandte sich ihr kaum merklich zu, dann drehte er sich um und blickte hinauf zu Sir Herbert auf der Anklagebank.
    Dessen Gesicht war grau geworden; sein Mund stand vor Fassungslosigkeit offen; in seinen Augen loderte eine panische Angst.
    Langsam betrachtete er die Geschworenen. Er sah sie an, einen nach dem anderen, bis zum letzten. Dann wußte er, daß er verloren hatte und seine Niederlage endgültig war.
    Es herrschte Schweigen im Saal.
    Nichts rührte sich. Philomena Stanhope sah starren Blicks hinauf zur Anklagebank, in ihrer Miene fast so etwas
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