Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
entspannte sich.
    »Tatsächlich?« wiederholte sie.
    »Das Problem ist«, fuhr Hester fort, ohne ihr aus dem Weg zu gehen, »daß immer noch kein Mensch weiß, wer Prudence wirklich umgebracht hat. Da können sie den Fall natürlich nicht abschließen.«
    »Und wenn schon? Du bist’s ja nicht gewesen, und ich auch nicht. Und so wie’s aussieht, auch nicht Sir Herbert.«
    »Glauben Sie denn, er war’s?«
    »Wer – ich? Ich glaub’ gar nichts.« Ihre Stimme war plötzlich ganz grimmig, so als wäre sie einen Augenblick lang nicht auf der Hut gewesen.
    Hester runzelte die Stirn. »Noch nicht mal, wenn Prudence von den Abtreibungen gewußt hat? Und das hat sie. Sie hätte ihm das Leben ganz schön schwermachen können, wenn sie ihm gedroht hätte, zur Polizei zu gehen.«
    Dora war nun wieder ganz konzentriert, ihr mächtiger Körper war sorgfältig ausbalanciert, als könne sie jeden Augenblick losspringen, falls es ihr in den Sinn kommen sollte. Sie starrte Hester an, hin und her gerissen zwischen Vertrauen und tödlicher Feindschaft.
    Hastig fuhr Hester fort: »Ich weiß nicht, welchen Beweis sie hatte. Ich weiß noch nicht mal, ob sie dabeigewesen ist.«
    »Die war nicht dabei!« fiel ihr Dora entschieden ins Wort.
    »War sie nicht?«
    »Nein, weil ich nämlich weiß, wer dabeigewesen ist. So blöd ist der nicht gewesen, die da mitmachen zu lassen. Bei dem, was die alles gewußt hat.« Sie verzog das Gesicht. »Die war doch fast selbst ein Doktor, das kann ich dir sagen. Die hat mehr gewußt als die meisten Studenten hier. Die hätt’ ihm das mit den Geschwüren nie abgekauft.«
    »Aber Sie wußten Bescheid! Was war mit den anderen?«
    »Ach die – die können doch ’n Gallenstein nicht von ’ner gebrochenen Haxe unterscheiden.« Aus ihrem Ton sprach neben Verachtung auch eine gewisse Toleranz.
    Hester rang sich ein Lächeln ab, obwohl sie spürte, daß es nur eine schwache Geste, eher ein Zähneblecken war. Sie versuchte etwas Respekt in ihren Ton zu bekommen. »Da muß Ihnen Sir Herbert aber wirklich vertrauen.«
    Stolz ließ Doras Augen aufleuchten. »Ja, das tut er. Ich würd’ den nie verraten.«
    Hester starrte sie an. Neben dem Stolz sah sie in ihren Augen auch einen glühenden Idealismus, Hingabe und Respekt. All das verwandelte ihre sonst so häßlichen Züge in etwas, das seine eigene Schönheit hatte.
    »Dann weiß er sicher auch, was für einen Respekt Sie vor ihm haben«, sagte sie mit erstickender Stimme.
    Dora Parsons stand abwartend im Lichtkegel auf der Treppe und beobachtete sie.
    »Sie haben schon recht«, sagte Hester schließlich in die Stille.
    »Es gibt Frauen, die brauchen viel mehr Hilfe, als das Gesetz ihnen zugesteht. Man muß einen Mann bewundern, der Ehre und Freiheit riskiert, um etwas dagegen zu tun.«
    Dora entspannte sich, ihre Gelassenheit schwappte wie eine Welle über sie hinweg. Langsam begann sie zu lächeln.
    Hester ballte die Fäuste in den Falten ihrer Röcke. »Hätte er es doch nur für die Armen getan, anstatt für die Reichen, die bloß ihre Tugend verloren haben und der Schande und dem Ruin eines unehelichen Kindes entgehen wollten.«
    Doras Augen wurden zu schwarzen Löchern. Hester wurde unsicher. War sie zu weit gegangen?
    »Das hat er nicht…«, sagte Dora langsam. »Er hat’s nur bei armen Frauen gemacht und kranken, bei solchen, die einfach nicht mehr konnten!«
    »Er hat nur reiche Frauen genommen«, wiederholte Hester ernst und mit kaum mehr als einem Flüstern. »Und er hat einen Haufen Geld dafür verlangt.« Sie wußte nicht, ob das stimmte, aber sie hatte Prudence gekannt. Prudence hätte ihn nicht angezeigt, wenn er getan hätte, was Dora glaubte! »Und Sir Herbert hat Prudence umgebracht…«
    »Hat er nicht!« Es hörte sich an wie eine Klage. »Und Geld hat er überhaupt keins genommen!« Aber der Zweifel war gesät.
    »Und ob er das hat«, wiederholte Hester. »Deswegen hat Prudence ihm ja auch gedroht.«
    »Du lügst doch!« sagte Dora schlicht und mit unerschütterlicher Überzeugung. »Ich hab’ sie auch gekannt, und sie hätt’ ihn nie gezwungen, ihn zu heiraten. Das ist totaler Blödsinn! Die hat den doch nicht geliebt! Für Männer hat die gar keine Zeit gehabt. Doktor hat sie werden wollen, Gott steh’ ihr bei! Als hätt’ sie da ’ne Chance gehabt – eine Frau lassen die nie ran, ganz egal wie gut sie ist. Wenn du sie wirklich gekannt hast, dann würdest du keinen solchen Blödsinn verzapfen!«
    »Daß sie ihn nicht heiraten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher