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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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wollte, weiß ich auch!« pflichtete Hester ihr bei. »Sie wollte, daß er dafür sorgt, daß sie Medizin studieren kann!«
    Langsam breitete sich über Doras Gesicht eine schreckliche Erkenntnis aus. Die merkwürdige Schönheit, die es eben noch gehabt hatte, verschwand unter einer bitteren Enttäuschung; und dann kam der Haß: ein lodernder, unerbittlicher Haß.
    »Ausgenutzt hat er mich!« sagte sie, als ihr alles klar wurde. Hester nickte. »Und Prudence«, fügte sie hinzu. »Die hat er genauso ausgenutzt.«
    Doras Gesicht legte sich in Falten. »Und du sagst, daß er davonkommt?« fragte sie mit tiefer Reibeisenstimme.
    »Im Augenblick sieht es ganz so aus.«
    »Dann bring’ ich ihn selber um!«
    Als Hester ihr in die Augen sah, glaubte sie ihr. Er hatte ihren Idealismus mißbraucht; das einzige auf der Welt, was ihr Wert und Würde gegeben, alles, woran sie geglaubt hatte, war mit einem Schlag vernichtet. Er hatte das Beste in ihr verhöhnt. Sie war eine häßliche Frau, grobschlächtig, ungeliebt, und das wußte sie. In ihren Augen hatte sie nur einen Wert gehabt, und der war jetzt fort. Sie dieses Werts beraubt zu haben, war womöglich nicht weniger schlimm als ein Mord.
    »Sie können was viel Besseres tun«, sagte Hester, ohne zu überlegen, und legte eine Hand auf Doras mächtigen Arm. »Sie können dafür sorgen, daß man ihn hängt!« drängte sie. »Das wäre ein viel besserer Tod – und er würde wissen, daß Sie’s gewesen sind. Wenn Sie ihn umbringen, wird er zum Märtyrer. Die ganze Welt wird ihn für unschuldig halten und Sie für schuldig. Und womöglich hängt man Sie auf! Auf meine Art aber werden Sie eine Heldin, und er ist ruiniert!«
    »Wie?« fragte Dora schlicht.
    »Erzählen Sie mir, was Sie wissen.«
    »Die wer’n mir nicht glauben! Nicht wenn mein Wort gegen das seine steht!« Wieder stieg ihr der Zorn ins Gesicht. »Du träumst doch! Nein, da is’ meine Methode besser. Und vor allem todsicher. Die deine nicht.«
    »Könnte sie aber!« insistierte Hester. »Sie müssen doch einiges wissen!«
    »Was denn? Die glauben mir ja doch nicht! Einem Nichts wie mir.« Eine übermächtige Bitterkeit sprach aus ihren Worten, als falle sie in den Abgrund ihrer eigenen Wertlosigkeit, als würde das Licht über ihr immer kleiner, als wüßte sie, daß es bald außer Reichweite war.
    »Was ist mit den Patientinnen?« fragte Hester. »Wie haben die ihn gefunden? Damit geht man doch nicht hausieren!«
    »Natürlich nicht! Aber wer ihm die besorgt hat, weiß ich nicht.«
    »Sind Sie sicher? Denken Sie scharf nach! Vielleicht haben Sie mal was gesehen oder gehört. Wie lange geht denn das schon?«
    »Oh, seit Jahren! Seit er es mal für Lady Ross Gilbert gemacht hat. Die war die erste.« Eine bittere Belustigung huschte über ihre Miene, als hätte sie gar nicht gehört, wie Hester nach Luft schnappte. »Das war vielleicht ’n Theater! Die hatte schon ’n ganz schön’ Bauch – fünf Monate oder mehr! Und fertig war die, total aus dem Häuschen! Sie war gerade von den westindischen Inseln gekommen – deswegen war sie wohl auch schon soweit.« Ihr Lachen war ein tiefes Grollen, ihr Gesicht verzog sich vor Hohn und Verachtung. »Schwarz war’s gewesen, das arme kleine Kerlchen! Ich hab’s mit eignen Augen gesehn – wie’n richtiges kleines Kind! So mit Armen und Beinen und Kopf und allem Drum und Dran.« Tränen stiegen ihr in die Augen beim Gedanken daran, und ihr Gesicht war mit einemmal ganz weich und traurig. »Richtig schlecht ist mir geworden, als ich gesehen hab’, wie das einfach so rausgemacht wurde. Aber schwarz wie Ihre Haube, das sag’ ich dir! Kein Wunder, daß sie den Balg nicht haben wollte! Ihr Gatterich, der hätt’ sie doch auf die Straße gesetzt. Ganz London hätte die Hände überm Kopf zusammengeschlagen – und sich hinterher daheim krankgelacht.«
    Hester war wie vom Donner gerührt. Es bedurfte keiner Erklärung, daß Doras Verachtung nicht der Hautfarbe des Kleinen galt, sondern der Tatsache, daß Berenice es aus diesem Grund hatte loswerden wollen. Dazu kam der Kummer um den Verlust des kleinen Wesens. Zorn war das einzige Mittel, mit dem sie Entsetzen und Mitleid zu lindern vermochte. Sie hatte selbst keine Kinder und würde wahrscheinlich auch nie welche haben. Was für Qualen mußte sie ausgestanden haben, diesen fast schon fertigen Säugling wie einen Tumor in den Kehricht zu werfen. Einige Augenblicke lang teilten die beiden Frauen ein Gefühl, das so tief
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